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Tag der offenen Tür in der Presse

Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte Anfang Juli einen Artikel über den Tag der offenen Tür der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt, in dem der Kulturkampf der AfD in Sachsen-Anhalt thematisiert wird. Den vollständigen Artikel können Sie hier nachlesen:

 

SZ Süddeutsche Zeitung

Die Seite Drei

08.07.2025

 
 

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Ist das „deutsch“ oder kann das weg?

Nirgendwo führt die AfD ihren Kulturkampf so schamlos wie in Sachsen-Anhalt.
Das Bauhaus? Ist für die Rechtsextremen so überflüssig wie Gespräche
mit Holocaust-Überlebenden. Was deutsch ist, wollen sie selbst entscheiden.

VON IRIS MAYER

Am längsten Tag des Jahres steht der Sänger Martin Rühmann mit seiner Band auf halber Strecke zwischen dem Magdeburger Hauptbahnhof und dem Landtag auf einer kleinen Bühne. Vor ihm sitzen vielleicht zwanzig Menschen auf Bierbänken im Schatten, hinter ihm hängt ein Plakat mit dem Slogan „Sachsen Anhalt – Traditionell Weltoffen“. Die Moderatorin stellt Martin Rühmann als Bruder von Thomas Rühmann vor. Der ist Schauspieler und rettet als Professor Heilmann jede Woche Leben, zumindest in der MDR-Sachsenklinik. Martin Rühmann soll an diesem Tag die Stimmung retten – und vielleicht sogar ein Stück Demokratie. Die Landeszentrale für politische Bildung hat erstmals zum Tag der offenen Tür geladen. Das Motto: „Du bist Politik.“

  Martin Rühmann ist Magdeburger und seine Band eine feste Größe in der Landeshauptstadt. Gesungene Sehnsucht hat er seine Lieder selbst mal genannt. An diesem heißen Junisamstag ist er also hierhergekommen, auf die Bühne vor der Landeszentrale für politische Bildung, zwischen Hauptbahnhof und Domplatz, „damit wir Rechtsextremen nicht die Straße überlassen“. Musik sei dafür eine treibende Kraft, sagt Heilmann. Dann kündigt er einen seiner Klassiker an, das Farbenlied. Und singt zwischen Infoständen und Glücksrad: „Ich streu’ die Farben übers brodelnde Land“.  

Das beschreibt die Lage ganz gut. Es brodelt in Sachsen-Anhalt, ein gutes Jahr vor der Landtagswahl. Spätestens, seitdem die AfD bei der Bundestagswahl hier auf 37,1 Prozent der Zweitstimmen kam und alle Direktmandate holte. Seitdem das Szenario, die rechtsextreme Partei könnte dieses Bundesland mal regieren, tatsächlich als reale Option betrachtet werden muss. Seit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) öffentlich darüber nachdachte, in diesem Fall sein Heimatland zu verlassen. Worauf der AfD-Scharfmacher Hans-Thomas Tillschneider antwortete: „Wer Sachsen-Anhalt nicht liebt, soll Sachsen-Anhalt verlassen.“

  Tillschneider ist die treibende Kraft in einem Kulturkampf, den die AfD in Sachsen-Anhalt in einer Schärfe führt wie in keinem anderen Bundesland. Schon im Landtagswahlkampf 2021 forderte sie hier eine „kulturpolitische Wende“ nach dem Vorbild von Viktor Orbán in Ungarn. Mit Steuergeld sollte demnach nur noch Kunst gefördert werden, „die ihrer eigenen deutschen Kultur grundsätzlich bejahend gegenübersteht“.

  Darum geht es auch im Landtag, wenn Tillschneider seine Kulturkampfanträge begründet, oder besser gesagt ins Plenum brüllt. Sei es die Aufforderung an die Landesregierung, einen Preis für spezifisch deutsche Malerei auszuloben (April 2024), sei es die Frontalattacke aufs Bauhaus als „Irrweg der Moderne“ (Oktober 2024) oder die Forderung nach einer „kulturpolitischen Wende um 180 Grad“ (November 2024). Im Mai forderte die Landtags-AfD die Abschaffung des bisherigen Landesslogans #moderndenken zugunsten einer Kampagne mit dem Titel „#deutschdenken“, die einen neuartigen „Volksbildungstourismus“ schaffen und „Sachsen-Anhalt zum Sehnsuchtsort aller deutscher Patrioten machen“ soll. Was genau das sein soll, deutsche Kunst und deutsches Denken, kann die AfD nicht wirklich erklären. Was sie weghaben will, dagegen schon.

  Beim Bauhaus ging es ihr angeblich darum, eine „einseitige Glorifizierung“ im Jubiläumsjahr zu verhindern. Doch die stand nie zu befürchten, stattdessen hat sich die Stiftung Bauhaus Dessau seit Jahren wissenschaftlich sowohl der Verfolgung als auch der Verstrickung von Bauhaus-Künstlern im Nationalsozialismus gewidmet. 1932 hatten die Nationalsozialisten das Bauhaus in Dessau geschlossen und viele Werke als „entartete Kunst“ geächtet. Worin die halbe Welt heute eine Ikone der modernen Architektur sieht, darin sehen Tillschneider und die AfD „abgrundtiefe Hässlichkeit“. Der Aufschrei durch die Politik – von Linke bis CDU – war enorm.

  In diesem Januar stellte die AfD den Antrag, die Landeszentrale für politische Bildung abzuschaffen und stattdessen ein „Landesinstitut für staatspolitische Bildung und kulturelle Identität“ einzurichten, das sich unter anderem „deutscher Brauchtumspflege“ widmen solle. Begründung: Es müsse Schluss sein mit „politischer Bevormundung und Indoktrination“. Neu ist das Prinzip nicht: Eine Institution unter dem Vorwurf mangelnder Neutralität anzugreifen, um dann eine politische Ausrichtung zu forcieren – wohin das führt, kann man gerade an amerikanischen Universitäten beobachten.

  Die Landeszentrale wurde 1991 auf Beschluss der Landesregierung gegründet, als obere Behörde gehört sie zum Geschäftsbereich des Bildungsministeriums. Sie hat achtzehn Mitarbeiter, ihr Auftrag ist klar umrissen: durch politische Bildungsarbeit „die Entwicklung des freiheitlich demokratischen Bewusstseins zu fördern“. Zu den inhaltlichen Schwerpunkten zählen ausdrücklich auch die Unterrichtung über zeitgeschichtliche Vorgänge und Formen des politischen Extremismus.

  Tillschneider stört sich vor allem daran, dass sich die Landeszentrale mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. In diesem Jahr, achtzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, widmet sie dem Thema eine Reihe von Veranstaltungen, darunter auch Zeitzeugen-Auftritte von Holocaust-Überlebenden. Tillschneider sieht darin einen „Dauermodus des Schuldbewusstseins und der latenten Selbstanklage“, andere Veranstaltungen diffamiert er als „das übliche Sackhüpfen gegen rechts“. Doch bei Pöbelei belässt er es nicht, er will die ganze Institution zerstören. „Schaffen wir diese Landeszentrale für politische Indoktrination, für Verdummung und für die Zementierung der Altparteienherrschaft einfach ab“, rief er im Januar im Landtag.

  Natürlich fällt der zugehörige Antrag auf Abschaffung durch, weil außer der AfD niemand dafür die Hand hebt. So war es bisher bei allen Kulturkampfinitiativen im Landtag. Aber um die praktische Umsetzung geht es der AfD auch nicht – noch nicht. Es geht um Einschüchterung, um Aufmerksamkeit und darum, den anderen Parteien die eigene Agenda aufzuzwingen. Die Grenzen des Sagbaren zu verschieben.

  Der Chef der Landeszentrale für politische Bildung ist kein Typ, der schnell die Ruhe verliert. Maik Reichel macht den Job seit zwölf Jahren, er hat in der Kommunalpolitik angefangen, war Bürgermeister und Bundestagsabgeordneter für die SPD. Tillschneider hat ihn in der Landtagsdebatte als „ausrangierten Abgeordneten“ bezeichnet. „Man muss wissen, wo das herkommt“, sagt Reichel an seinem Schreibtisch, während sich draußen schon die Martin-Rühmann-Band warmspielt. Vor ihm auf dem Tisch stehen eine Deutschland- und eine Ukraine-Flagge. Immer wieder steckt jemand den Kopf ins Zimmer. Letzte Fragen zum Tag der offenen Tür sind zu klären: zur Minigolf-Strecke, zum Hauptpreis beim Glücksrad (eine Exkursion in den Harz), bei dem Fragen gestellt werden, die eher nicht nach Indoktrination klingen: „Für wie viele Jahre wird in Sachsen-Anhalt der Landtag gewählt?“, oder: „Welche Stadt in Sachsen-Anhalt ist berühmt fürs Bauhaus?“  

Maik Reichel erklärt geduldig, was die Landeszentrale macht: Aufklären, wie Politik funktioniert, was eine Demokratie ausmacht, wer nach welchen Kriterien entscheidet. „Also was macht man unten, in der Mitte, oben – bis nach Europa? Das wissen viele Leute auch nach 35 Jahren einfach nicht.“ Und wer nicht weiß, was er an einem demokratischen System hat, der glaubt möglicherweise auch nicht, dass es in Gefahr sein könnte. Reichel ist es wichtig, dass sie hier unabhängige politische Bildung betreiben, auf Grundlage der Ziele und Werte des Grundgesetzes, so steht es im Errichtungsbeschluss von 1991. „Einseitige Rotlichtbestrahlung durch Staatsbürgerkunde in der DDR“ habe er schließlich selbst erlebt.

  Eines sagt er aber auch: „Beim Grundgesetz oder den Menschenrechten sind wir nicht neutral.“ Einen Kampf gegen rechts führe die Landeszentrale nicht, aber sie informiere über Extremismus. „Und die AfD ist nun einmal rechtsextrem, Punkt.“ Aus Sicht der AfD sei seine Einrichtung der Feind. „Und wenn das so ist, dann machen wir was richtig.“ An einer echten, inhaltlichen Debatte habe die AfD ohnehin kein Interesse, sagt Reichel. Dabei gibt es ein dreizehnköpfiges Kuratorium aus Vertretern aller Landtagsfraktionen, das Arbeit und Programm der Landeszentrale kontrolliert. Tillschneider ist dort selbst Mitglied. Dieses Gremium soll die Überparteilichkeit garantieren, Kritik an einer – wenn auch nur von der AfD gefühlten – Einseitigkeit könnte dort vorgetragen werden. In der Landtagsdebatte im Januar rechnete die CDU der AfD allerdings genüsslich vor, wie oft sie bei Kuratoriumssitzungen fehlte.  

Dass die AfD lieber auf großer Bühne pöbelt, als hinter den Kulissen mitzuarbeiten, registriert der Soziologe David Begrich seit Jahren. Begrich ist einer der wichtigsten Beobachter des Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Er arbeitet für den Verein „Miteinander“ in Magdeburg, der Analyse und Beratungen für Schulen und Vereine in Sachen Rechtsextremismus anbietet.

  Warum die AfD so gern KulturkampfAttacken reitet, erklärt er in einem Café am Magdeburger Hasselbachplatz. „Der AfD geht es um die Renationalisierung aller gesellschaftlichen Sphären“, sagt er. Sachsen-Anhalt war das erste Bundesland, in dem es die AfD zweistellig in einen Landtag schaffte: aus dem Nichts auf 24,3 Prozent. 2016 war das, seitdem sei sie im Modus der Eskalation, sagt Begrich. „Die AfD adressiert zielsicher die Politikfernen, sie ist darauf trainiert, Affekte zu verstärken. Das macht eine Antwort so schwer.“ Denn natürlich findet die sachliche Erklärung dafür, wie politische Bildung funktioniert oder was das Bauhaus-Erbe für Sachsen-Anhalt so wertvoll macht, weniger öffentliche Aufmerksamkeit als der aggressive Angriff.

  Ein Dilemma, das nur schwer aufzulösen ist. „Die AfD missbraucht das Parlament als Shakespeare-Bühne“, sagt Begrich. Politik als Inszenierung, als Schauspiel. „In jeder Rede kommt nach spätestens dreißig Sekunden ein Hammer, der Rest sind kurze Hauptsätze für Tiktok. Die reden zu ihrer Bubble, nicht zum Plenum.“ Und für die Bubble bleiben dann Sätze hängen wie diese: „Das Bauhaus hat das menschliche Bedürfnis nach Geborgenheit und Behaglichkeit nach allen Regeln der Kunst vergewaltigt.“ (Tillschneider, Oktober 2024) Oder: „Wenn man mit manchen jungen Leuten spricht, die dieses Gedenkstättenzeug zu ernst nehmen, dann hat man den Eindruck, mit Nazi-Zombies zu sprechen, die irgendwo in der Vergangenheit leben und die noch im Jahr 2025 im Widerstand gegen Hitler sind.“ (Tillschneider, Januar 2025) Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, das Prinzip bleibt das Gleiche.

  Tillschneider war zusammen mit Björn Höcke einer der führenden Akteure des offiziell aufgelösten „Flügels“, einer besonders radikalen Strömung in der AfD, und Sprecher der „Patriotischen Plattform“. Er ist stellvertretender Landes- und Fraktionschef der AfD in Sachsen-Anhalt und hat in der Vergangenheit den Islam als „Baumpilz“ an der „deutschen Eiche“ bezeichnet und gesagt, die westliche Gesellschaft sei „sozial zersetzt“. Tillschneider pflegt enge Kontakte zur identitären Bewegung, war ein gern gesehener Gast im Institut für Staatspolitik in Schnellroda, der Denkfabrik der neuen Rechten. Putins Russland ist für ihn keine Bedrohung, sondern Vorbild. Er wäre froh, wenn die deutsche Regierung die deutschen Interessen so sehr wahren würde wie Putin die Interessen des russischen Volkes, hat er mal gesagt. Die moskautreue Glorifizierung der AfD ist Teil einer antiliberalen Agenda, „die letztlich eine Umgestaltung des politischen Systems in Deutschland zum Ziel hat“, schreibt der Landesverfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz führt in seinem AfD-Gutachten, mit dem es die Gesamtpartei als gesichert rechtsextrem einstufte, zahlreiche Äußerungen Tillschneiders als Beleg für die Gefährlichkeit der Partei an.

  Dass sich die AfD in Person von Tillschneider gerade in Sachsen-Anhalt so auf Kulturkampfthemen stürzt, ist für den Soziologen David Begrich naheliegend. „Hier liegen auf jedem Zentimeter tausend Jahre Geschichte“, sagt er. Und Tillschneider sei ein Ideologe, „seine Kulturreferenz ist der wilhelminische Nationalismus“, sagt Begrich. Plakative Anträge zu Kulturthemen haben für die AfD aber noch einen Vorteil: Solange sie Kulturkampf führt, muss sie nicht erklären, wie sie die Krankenhauslandschaft in Sachsen-Anhalt erhalten, Pflege für eine alternde Bevölkerung sicherstellen oder weniger Unterrichtsausfall für Schüler organisieren will.

  Wie kommt man dagegen an? „Die Kunst besteht darin, die Provokation vom Tabubruch zu unterscheiden“, sagt Begrich. „Und das ist im parlamentarischen Alltag sehr schwierig, aber notwendig. Auf eine Provokation muss man nicht unbedingt reagieren, auf einen Tabubruch sehr wohl.“

  Holger Hövelmann tut das regelmäßig. Er gehört als kulturpolitischer Sprecher der SPD zu denen, die im Landtag häufig auf die Kulturkampfanträge der AfD antworten. Seit 2011 sitzt er im Landtag. „Es gab immer harte politische Auseinandersetzungen, auch mal scharf zur Person, aber es war nie ehrverletzend, beleidigend oder zerstörerisch. Es war Streit in der Sache, so wie sich das in der Politik gehört“, sagt Hövelmann in seinem Wahlkreisbüro in Dessau, einen Kilometer Luftlinie vom Bauhaus entfernt. „Aber seit die AfD im Landtag sitzt, verbreitet sie ein Klima der Einschüchterung, des persönlichen Niedermachens.“

  Immer wieder kann man von der Zuschauertribüne aus verfolgen, wie Debatten entgleisen, weil die AfD fortlaufend pöbelt, johlt und reinbrüllt. Wenn man die Augen zumache und den Rednern der AfD im Landtag zuhöre, sagte Ministerpräsident Haseloff neulich der Bild, dann habe man das Gefühl, in der letzten Phase der Weimarer Republik zu sitzen oder später im Berliner Sportpalast. Dort hatte Joseph Goebbels 1943 den „totalen Krieg“ ausgerufen.

  Hövelmann beschreibt das Auftreten der AfD so: „Wenn sie Ost, Ost, Ost-Deutschland brüllen wie im Fußballstadion, das ist unerträglich. Dieses Trommeln, dieses Johlen, dieses Verächtlichmachen des Parlaments und der politischen Mitbewerber, das ist Strategie. Die wollen das Parlament als Schwatzbude darstellen. Für die ist das ein Zirkus, und sie versuchen, Dompteur zu sein.“

  In der Reihe der Kulturkampfdebatten ist Hövelmann besonders die aus dem Mai in Erinnerung geblieben. Die Debatte, in der die AfD forderte, das Land möge eine Imagekampagne unter dem Label „#deutschdenken“ starten, Gedenkstättenfahrten für Schüler abschaffen und stattdessen einen „Stolz-Pass“ für den Besuch historischer Stätten ausstellen. Stätten, die natürlich die AfD bestimmt hätte.

  Wichtig für die „identitäts- und kulturpolitische Akzentsetzung“ wären demnach: die Merseburger Zaubersprüche, Otto der Große, der Rechtsgelehrte Eike von Repgow, Martin Luther, Friedrich Nietzsche, das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt und die Altmark. Nicht wichtig wären demnach in Sachsen-Anhalt: Moses Mendelssohn oder Kurt Weill, Bauhaus und Industriekultur, und auch über Georg Friedrich Händel kein Wort. „Das war ein Generalangriff auf das kulturelle Erbe Sachsen-Anhalts“, sagt Hövelmann.

  Er bezeichnete Tillschneiders Antrag im Plenum als „Sammelsurium aus Deutschtümelei, zurechtgebogener Geschichte und verfassungsfeindlichen Ansätzen“. Wenn die AfD unbedingt Stempel sammeln wolle, dann solle sie die Harzer Wandernadel erwerben, aber den Rest des Landes mit ihren Fantasien zur Wiederkehr des Kaiserreiches verschonen, sagte Hövelmann unter lautem Beifall der demokratischen Fraktionen.

  Wäre Tillschneiders Kulturkampf nicht so schrecklich ernst gemeint, man könnte sich durchaus auch an heiteren Randbegebenheiten erfreuen. Dass er von Abgeordneten der Grünen und der CDU zurechtgewiesen werden musste, wie man die Landeshauptstadt richtig ausspricht zum Beispiel: Magdeburg, oder Machteburch – auf jeden Fall mit kurzem A, nicht mit langem. Quedlinburg dagegen mit langem E, nicht mit kurzem, so wie es Tillschneider in der Debatte tat.

  Nach Lachen war Hövelmann trotzdem nicht am Rednerpult im Landtag, dafür war das Thema zu ernst. Das Land habe schließlich schon in zwei Diktaturen erlebt, wie Kunst und Kultur in den Dienst einer kulturfeindlichen Ideologie gestellt wurden. Er sieht da ein klares Muster. Alles Moderne, alles Fortschrittliche – Bauhaus, moderne Kunst, Musik, Malerei, das lehne die AfD ab. „Vor hundert Jahren hätte dazu jemand ‚entartete Kunst‘ gesagt – der Begriff ist noch nicht gefallen, aber ich bin überzeugt, das ist nur eine Frage der Zeit.“

  Hövelmann war schon vieles in seinem politischen Leben: SPD-Landesvorsitzender, Fraktionschef im Kreistag, Landrat, fünf Jahre Innenminister in einer schwarz-roten Koalition. Und er fragt sich, wie man gegen eine AfD im Kulturkampfmodus ankommt. Warum ihr so viele nachlaufen. Die Augen schließen und hoffen, es werde schon nicht so schlimm kommen, helfe jedenfalls nicht weiter. „Man muss nur lesen, was sie aufschreiben, und zuhören, was sie sagen. Und es ernst nehmen“, sagt Hövelmann. „Es geht darum, sämtliche vermeintlich linksliberale Institutionen zu schleifen, ihnen Gelder zu entziehen, sie zu schließen. Es geht der AfD darum, politische Bildung und Wertevermittlung zu zerstören.“

  Der SPD-Politiker sagt das sehr klar, in seinem Büro, im Landtag, und auch in Gesprächen mit Freunden. Die Menschen, sagt er, sollen verstehen, was die AfD vorhat. Er jedenfalls fände es einigermaßen irre, nach 35 Jahren die Freiheit wieder wegzuwerfen. Deswegen macht Hövelmann weiter.

  An diesem Tag wird er im Wörlitzer Park um die Ecke noch einen neuen Gondelsteg einweihen, zusammen mit Ministerpräsident Haseloff. 1,5 Millionen Euro Sonderfinanzierung hat das Land für die Sanierung bereitgestellt, auch ein neuer Ufersteg am See wurde davon gebaut. Das Unesco-Welterbe DessauWörlitzer Gartenreich tauchte auf der „#deutschdenken“-Liste der AfD übrigens auch nicht auf. Und fette Schlagzeilen macht die Sanierung eines Gondelstegs natürlich auch nicht.

  Dass die Zündelei der AfD größere Aufmerksamkeit bekommt als Sachpolitik, schmerzt Hövelmann natürlich. Ist im Landtag ja nicht anders. „Es steht ja viel mehr auf der Tagesordnung.“ Nach der Sommerpause zum Beispiel ein Kulturfördergesetz. Da will die regierende Koalition aus CDU, SPD und FDP gesetzlich definieren, „was für das Land Sachsen-Anhalt das kulturelle Erbe ist und der kulturelle Auftrag für die Zukunft“.

  Dürfte eine spannende Debatte werden.

 

Zwischenüberschriften:

Um Einschüchterung geht
es, und darum, Grenzen des
Sagbaren zu verschieben

Seit es die AfD 2016 in den
Landtag geschafft hat, ist
sie im Modus der Eskalation

Dieses Verächtlichmachen
des Parlaments, dieses
Brüllen. Ist alles Strategie

Irgendwann würden sie von
„entarteter Kunst“
reden, da ist er sich sicher

 

 

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„Du bist Politik“ im Gespräch mit Cornelia Habisch

veröffentlilcht am 20. Mai 2025

Das "Netzwerk für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt" wird 20!

Unsere Podcasthosts Tom haben aus diesem Anlass Cornelia Habisch zu Gast, sie ist u.a. Geschäftsführerin des Netzwerkes. Mit ihr sprechen sie über die Stärkung von Demokratie, über "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" und blicken zurück auf die Geschichte und Höhepunkte beider Netzwerke.


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