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"Fenster zur Freiheit" - Peter Wensierski stellte sein Buch über die Radix-Blätter, Untergrundverlag und -druckerei der DDR-Opposition vor

Für den langjährigen Spiegel-Autor, DDR-Korrespondenten und Filmemacher Peter Wensierski ist es immer noch ein kleines Wunder, dass die Stasi den Machern der DDR-Untergrundzeitschrift nicht auf die Schliche gekommen ist. Dabei sei der Druck der Radix-Blätter eine der politisch interessantesten und bedeutendsten Aktionen in der DDR gewesen, findet er. Pünktlich zum 30-jährigen Jubiläum der Friedlichen Revolution hat der Journalist und Autor ein Buch vorgelegt, in er dem unter dem Titel „Fenster zur Freiheit“ die Geschichte der Radix-Blätter erzählt und den beiden Initiatoren Stephan Bickhardt und Ludwig Mehlhorn ein kleines Denkmal setzt. Am 21. November ist Wensierski auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung in der Stadtbibliothek Magdeburg zu Gast gewesen und hat dort sein Buch vorgestellt.

Die dahinterstehende Geschichte ist ebenso spannend wie abenteuerlich. Gedruckt werden die Blätter getarnt in einem Hinterzimmer des elterlichen Hauses von Stephan Bickhardt, der zu dieser Zeit Theologiestudent in Berlin ist. Nur wenige Eingeweihte wissen damals Bescheid. Lediglich Bickhardt selbst hat Zugang zu allen Stufen der Produktion. Er organisiert die Redaktionsarbeit, den Druck bis zum Vertrieb der Hefte. Relativ offen dagegen wird im Autorenkreis über die Themenplanung debattiert.

Das Ergebnis des kleinen Untergrundverlages kann sich sehen lassen: In den vier Jahren des Bestehens, von 1986 bis 1989, sind insgesamt eine Million Seiten bedruckt worden. Ziel war es, eine öffentliche Diskussion anzustoßen. „Eine öffentliche Meinung kann nur durch veröffentlichte Meinung entstehen“ hat der Mitinitiator und Mathematiker Ludwig Mehlhorn das einmal genannt. Dafür sind die „Verleger“, Autoren und Drucker auch ein persönliches Risiko eingegangen. „Wir wollten eine Veränderung im Land erreichen“, zitiert Wensierski Dirk Sauermann, einen der drei Drucker, das sei ihm wichtiger gewesen als das Studium.

Tatsächlich haben die insgesamt 136 Autoren zahlreiche Debatten in der DDR angestoßen. Dabei ist es auch keineswegs nur um die Frage der Mauer, der fehlenden Reise- und Meinungsfreiheit gegangen. So seien gerade in den Jahren 1988 und 1989 die Themen Demokratisierung, Abgrenzung und Folgen des Abgeschnittenseins sehr grundsätzlich behandelt worden. Und die Autoren veröffentlichen ihre Texte zu den brennenden Fragen in der DDR nicht etwa anonym, sondern unter ihrem vollen Namen. Manche Hefte haben einen Umfang von 130 Seiten, zumeist erscheinen sie in einer Auflage von 1000 bis 3000 Exemplaren. Ohne Folgen bleibt die Untergrundzeitschrift nicht. „Neues Handeln“, so lautet 1988 ein Titel, bringt mit Texten über die Wahlen in der DDR einen Stein ins Rollen. Nur ein Jahr später, am 7. Mai 1989, kann die Fälschung bei den Kommunalwahlen nachgewiesen werden.

Dass die Radix-Blätter gleichwohl wenig im Blick einer größeren Öffentlichkeit standen und stehen, hängt aus Sicht des Journalisten auch mit der Machart zusammen. So sei aus Sicherheitsgründen der Eindruck vermieden worden, dass es sich dabei um ein Periodikum handelt. „Jede Ausgabe war besonders gestaltet.“ Zudem seien die Hefte auch intellektuell anspruchsvoll gewesen.

Die Wirkung ist gleichwohl nicht zu unterschätzen. So war Untergrundzeitschrift nicht nur ein Forum für die verschiedenen Oppositionsgruppen in der DDR, aus dem Kreis der Autoren heraus sei auch etwa „Demokratie jetzt“ entstanden. Zudem hätten die Blätter eine immer stärker werdende Diskussion über die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR angestoßen. “Letztlich haben sie eine bedeutende Rolle bei der Friedlichen Revolution gespielt, die bislang noch gar nicht richtig wahrgenommen wurde“, ist der Autor überzeugt. Dazu hätten die Macher auch Themen aufgegriffen, die bis heute aktuell seien. Als Beispiele nennt er den Umgang mit dem Antisemitismus, die Folgen der Teilung oder die Frage, wie wir heute in den Städten leben wollen „Darauf“, sagt Peter Wensierski, „können die Ostdeutschen wirklich stolz sein.“