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Batsheva Dagan am 9. Mai im Remter des Magdeburger Dom

„Ich wusste vorher nichts über Auschwitz, außer, dass man hineinkommt, aber nicht wieder heraus.“ Es herrscht gebannte Stille, als Batsheva Dagan am 9. Mai im Remter des Magdeburger Domes über Ihre Zeit im Vernichtungslager spricht. Eindrücklich schildert sie das Grauen des Alltags, das Leiden der Häftlinge und die schwere Arbeit in verschiedenen Kommandos. Dazwischen liest die 93-jährige Holocaust-Überlebende immer wieder Texte. Auf Einladung der Landeszentrale ist sie in diesen Tagen in Sachsen-Anhalt unterwegs. Nach zwei Zeitzeugengesprächen in der Petri-Sekundarschule Schwanebeck und im GutsMuths-Gymnasium Quedlinburg ist Magdeburg nun bereits ihre dritte Station. Erstmals liest sie an diesem Abend in Sachsen-Anhalt öffentlich aus ihrem Buch „Gesegnet sei die Phantasie, verflucht sei sie“.

Ihre Phantasie und ihr starker Überlebenswille sind es auch, die sie die Qualen im Lager überstehen lassen. Hoffnung schöpft sie durch das Lernen von anderen Sprachen und kleine Gesten, etwas als eine Freundin ihr ein Gedicht zum Geburtstag zukommen lässt. „Das war das schönste Geschenk, das ich in meinem Leben bekommen habe“, sagt Batsheva Dagan. Sie wiegt nur noch etwas mehr als 40 Kilogramm, als sie am 18. Januar 1945 auf einem Todesmarsch gehen muss und unter unmenschlichen Bedingungen in einem offenen Viehwaggon nach Ravensbrück gelangt. „Der weiße Schnee hat rote Flecken bekommen“, erinnert sie sich an dieser Tortur. Aber auch unter diesen Umständen habe der Mensch eine Wahl, ist sie überzeugt. „Er hat die Wahl, ein Mensch oder ein Tier zu sein.“
Einen besonderen Charakter erhalten Lesung und Zeitzeugenbericht schließlich durch die musikalischen Beiträge von Tabea & Tobias Wollner, die jiddische Lieder zu Gehör bringen. Das bewegt auch die 93-jährige Zeitzeugin. „Ich bin noch ganz gerührt von den Liedern, die wir heute gehört haben“, sagt sie, „die kenne ich noch aus meiner Kindheit.“ 

Über diese Zeit berichtet sie an diesem Abend zwar nicht. Aber bereits damals erlebt die am 8. September 1925 geborene Batsheva Dagan antisemitische Anfeindungen in ihrer Heimatstadt Lodz, damals noch unter ihrem ersten Namen Isabella Rubinstein. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs fliehen ihre Eltern mit ihr nach Radom, wo die Familie 1941 ins Ghetto ziehen musste. Die Eltern werden später nach Treblinka deportiert und ermordet. Von den acht Geschwistern überleben nur drei den Holocaust.
Batsheva Dagan flieht mit gefälschten Papieren nach Deutschland und arbeitete als Dienstmädchen, bis sie verhaftet und nach Auschwitz deportiert wird. Nach dem Todesmarsch kommt sie schließlich nach Malchow, wo sie am 2. Mai 1945 befreit wird. Sie zieht später nach Israel, studiert dort Psychologie und widmet sich fortan der Kinder- und Jugendbildung. Seither hat sie zahlreiche Bücher zum Thema Holocaust-Education für Kinder veröffentlicht und pädagogische Konzepte dazu entwickelt. Besonders ihr Kinderbuch „Chika, die Hündin im Ghetto“ macht die Autorin bekannt. Seit drei Jahren besucht sie Sachsen-Anhalt und arbeitet mit Kindern sowie Pädagoginnen und Pädagogen.

Wie stark ihr diese Arbeit am Herzen liegt, wird auch bei der Lesung im voll besetzen Dom-Remter deutlich. Kinder müssten früh unterscheiden lernen, was gut und was schlecht ist, gibt Batsheva Dagan den Anwesenden am Ende mit auf den Weg. „Dabei ist die Erziehung der Schlüssel.“ Die Besucherinnen und Besucher der Lesung quittieren den berührenden Lebensbericht und das Zeitzeugnis mit großem Beifall und erheben sich am Ende beeindruckt von ihren Plätzen. „Das war wirklich tief berührend“, sagt eine Besucherin zum Abschied.