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Raum für Gedanken - Ein Gesprächsangebot unter vier Augen!

Der „Raum für Gedanken“ lädt seit Sommer 2014 Menschen ein, ihre Gedanken zum Thema Flucht, neue Nachbarschaften und Asyl zu äußern in der gemütlichen Atmosphäre eines mobilen Wohnzimmers. Dieser geschützte und doch transparente Raum wird tageweise im öffentlichen Außenbereich verschiedener Orte aufgebaut. Im Zuge des Kunstprojekts fertigt die Fotografin Kathrin Ollroge Portraits von Menschen an, die in dem Ort leben oder sich zu dem Thema geäußert haben.

Der „Raum für Gedanken“ ist ein wertfreier Raum, in dem Meinungen, Anregungen und Kritik der Menschen aufgenommen und dokumentiert werden, ohne Belehrung oder Bewertung. Durch den künstlerischen, partizipativen Ansatz des Projektes werden die Menschen auf das Thema eingestimmt ohne potentielle Angriffsflächen zu bieten.

Im Rahmen der Kampagne „Demokratie stärken – Du bist Politik!“ zog Kathrin Ollroge gemeinsam mit dem mobilen Wohnzimmer durch Sachsen-Anhalt und erweiterte das bisherige Konzept: Die anonyme Sammlung der Äußerungen, die im mobilen Wohnzimmer gemacht wurden, wurden nicht mehr anonym in künstlerischer Form archiviert, präsentiert und den Kommunen zur Verfügung gestellt.
Die Statements werden nun personenbezogen im Rahmen einer Poster-Kampagne sichtbar gemacht.
Auf großformatigen A0-Fotoplakaten im Außenraum der besuchten Gemeinden werden in diesem Projekt Menschen abgebildet, die sich zum Thema Zuwanderung, Heimat, Herkunft,

Nachbarschaft, Gemeinschaft äußern oder sich konkret einsetzen. Es wird dargestellt, dass viele Menschen sich für eine solidarische Haltung in die Gesellschaft bzw. in ihrem unmittelbaren Lebensraum einbringen. Die Portraits mit den zugehörigen Aussagen sind in der Form nicht mehr anonym, da hier Bild und Text eindeutig zugeordnet werden.

Für die landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt fasste die Künstlerin ihre persönlichen Erfahrungen zusammen, die Sie während des Projektes machte:

„An der Schnittstelle zwischen Kunst und Politik entstand eine Posterserie von Menschen aus Sachsen-Anhalt, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld für die Gemeinschaft engagieren. Der Fokus lag insbesondere auf dem ländlichen Raum. Die Porträts der Menschen mit kurzen eigenen Statements sollten auf großformatige Postern gedruckt in den Dörfern öffentlich gezeigt werden. Sie hingen und hängen temporär an Dorfmauern, alten Gebäuden, sichtbar für jeden, als Anregung zum Nachdenken und zur Kommunikation über das eigene, sich verändernde Lebensumfeld.
Wir, das heißt sowohl die Landeszentrale für politische Bildung, als auch der Verein fabrik Potsdam e.V. und ich ganz persönlich, wollten herausfinden, wer sich durch persönliche demokratische Teilhabe gesellschaftlich engagiert und in welcher Form dies die gesellschaftliche Umgebung wiederum beeinflusst. Die Ausstellung der Porträts im öffentlichen Raum hat das Ziel der Anerkennung und Würdigung der aktiven Mitgestalter und gleichzeitig Anregungen für die Bevölkerung zu schaffen, sich selbstbestimmt in heimatliche Gemeinschaft einzubringen. Im Laufe der Projektumsetzung zeigte sich sehr schnell, dass dabei die ehrenamtlichen (Orts-)Bürgermeister und zahlreichen Vereine, die im ländlichen Raum tätig sind, von zentraler Bedeutung sind. In den vielen Interviews, die ich führte, war gleichermaßen herauszuhören, dass ein Kernproblem darin bestehe, neue Mitstreiter zu aktivieren und dass viele der ehrenamtlich tätigen Bürgermeister kommunale Aufgaben mit übernehmen, die oft ihre Kräfte und zeitliche Kapazitäten überbeanspruchen. Viele der ehrenamtlich tätigen Bürgermeister stellten sich dieser Herausforderung für ihr Amt aus Mangel an Nachfolgern, „weil es ja sonst keiner machen will!“ und meistern die Aufgaben neben dem eigentlichen Broterwerb und ihren Familien.

Ähnliche Erfahrungsberichte hörte ich von vielen Vereinsmitgliedern und Vereinsvorsitzenden. Heimat- und Sportvereine und die Freiwillige Feuerwehr, Karnevalsgarden und in kleinstädtischen Umgebungen auch Gartenvereine sind die häufigsten Vereinsarten und in fast in jeder Gemeinde zu finden. Hier werden Veranstaltungen und Feste organisiert, sie binden die lokale Jugend in diversen Freizeitaktivitäten ein und tragen allgemein zu Kommunikation, Begegnungsanlässen und der Jahresstruktur bei und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Lebensqualität. Innerhalb der einzelnen Vereine sind gemeinschaftliches Miteinander, Solidarität und Freundschaften selbstverständliche Bestandteile. In einigen Orten erfuhr ich jedoch auch von untereinander politisch konkurrierenden Vereinen, was sich negativ auf die Dorfgemeinschaft auswirkte.

Der arbeitsbedingte Wegzug jüngerer Menschen aus dem ländlichen Raum wurde als weiteres großes Problemfeld in vielen Gesprächen thematisiert. Oftmals fiel diese Bemerkung im Kontext der Berichte von Schwierigkeiten, weitere Bewohner zu aktivieren, sich in das allgemeine Dorfleben und gesellschaftliche Aktivitäten einbringen. Auf der anderen Seite ist in einigen Dörfern, die sich in Randzonen des städtischen Raumes befinden, ein reger Zuzug junger Familien zu verzeichnen. Diese zugezogenen Familien berichteten im Gespräch sowohl von aktiver Einbindung aber auch Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Dorfleben.

Alteingesessene und langjährige engagierte Personen, die altersbedingt aus der gesellschaftlichen Moderation innerhalb der Dorfstrukturen zurücktreten wollen oder müssten, haben oft das Problem, keine „Nachfolger“ zu finden. Schnell bemerkte ich, dass sie sich aus Verantwortungsgefühl weiter engagieren und damit oft weit über ihre Kapazitäten hinaus, oftmals auch erschwert durch fehlende finanzielle Unterstützung, fehlende infrastrukturelle Voraussetzungen und eingeschränkte Handlungsbefugnis, bedingt durch die Kreisgebietsreformen, weiter im Sinne der Gemeinschaft betätigen.

Selbstorganisation Einzelner war außerhalb von Vereinszusammenschlüssen seltener zu finden. Die Unterstützung lag hier eher in der Teilnahme an bestehenden Veranstaltungen. Gesellschaftliche Anlässe und Aktivitäten, die durch lokale Vereine und einzelne Bewohner oder Familien initiiert sind, werden von der Dorfbevölkerung sehr positiv angenommen und durch Teilnahme beinahe aller unterstützt. Außerhalb dieser Veranstaltungen ist das interaktive Miteinander oft weggebrochen. Berichtet wurde mir vom demografischen Wandel und den damit verbundenen finanziellen Engpässen bis hin zu fehlenden gemeinschaftlichen Treffpunkten: Der Dorfbank, dem Tante-Emma-Laden, den Jugendklubs, den Dorfkneipen. Unregelmäßige Arbeitszeiten und Pendeln zu den Arbeitsstätten lassen im ländlichen Raum oft wenig zeitlichen Spielraum für gemeinschaftliche Organisation.

Die Posterserie verfolgte das Ziel, positive Beispiele von demokratischer Teilhabe im ländlichen Raum aufzuspüren und damit anzuregen, einen frischen Blick auf die umgebenden Nachbarschaften zu lenken und anzuregen, eigene Wege zu finden, am gesellschaftlichen Miteinander selbstbestimmt teilzunehmen. Ich freue mich sehr über Berichte, von in Diskussionen vertieften Dorfbewohnern vor den temporären Ausstellungen.“

Autorin: Kathrin Ollroge

Verantwortlicher Redakteur: Peter Wetzel

Infobox - Fabrik Potsdam e.V. -

Die Fabrik Potsdam gründete sich als zeitgenössisches Theater für Tanz und Performance im Jahr 1990. Gesellschaftspolitische Inhalte finden Ausdruck auf der Bühne in eigenen Produktionen sowie in Stücken internationaler Tanzkompanien, die zu den jährlich stattfindenden Festivals wie u.a. die Potsdamer Tanztage in die Fabrik Potsdam eingeladen werden. Weiterhin unterstützt die Fabrik Potsdam als Trägerverein diverse Projekte und Initiativen, die sich gesellschaftlichen Themen widmen und die Auseinandersetzung mit Kunst, Performance und Politik befördern. Die Posterserie im Rahmen der Landeskampagne „Du bist Politik“ wurde von der Fotokünstlerin Kathrin Ollroge umgesetzt und von unserem Verein begleitet.

Infobox - Kathrin Ollroge -

Kathrin Ollroge, Fotokünstlerin aus Potsdam, ist sehr unterschiedlichen künstlerischen Feldern unterwegs. Neben künstlerischer Fotografie im Bereich Design steht sie unverwechselbar für das Projekt: Raum für Gedanken. Seit 2014 ist sie in den ostdeutschen Regionen unterwegs und protokolliert fotografisch (und im Dialog) Menschen in ihren Alltagsmilieus. In Thüringen, Berlin und Sachsen-Anhalt thematisiert sie mit Nachbarschaft, Jugend und Familie, Engagement und Zuwanderung wichtige Fragen von GEMEINSCHAFT. Auf großformatigen Plakaten und Postern oder Bannern lassen sich diese Menschen von der Künstlerin abbilden und zeigen ihre Verwurzelung in den Regionen.