Menu
menu

Alles eine Frage des Vertrauens

Nichtwähler-Monitor beleuchtete erstmals die Gründe für Wahlverweigerung in Sachsen-Anhalt

Die Zahl der Menschen, die am Wahltag zu Hause bleiben, ist in der Vergangenheit kontinuierlich gestiegen. Zwar hat die Wahlbeteiligung bei der letzten Landtagswahl wieder nach oben gezeigt. Aber die Grundsatzfrage bleibt: Was treibt Nichtwähler an? Warum verzichten sie gerade im Osten auf ihr 1989 erstrittenes Recht auf freie, gleiche und geheime Wahlen? Mit der im Oktober 2015 vom Zentrum für Sozialforschung Halle (ZSH) unter Leitung von Prof. Dr. Everhard Holtmann vorgelegten Studie zur Nichtwahl wurden zum ersten Mal Erkenntnisse darüber vorgelegt, wie Nichtwählerinnen und Nichtwähler in Sachsen-Anhalt denken, warum sie mehr oder weniger bewusst die Entscheidung treffen: Ich gehe nicht wählen. Dazu sind im Zeitraum Juni und Juli 2015 insgesamt 1.590 Interviews geführt worden.

Ein Hauptmotiv für die Entscheidung, nicht zur Wahl zu gehen, ist der Studie zufolge die Unzufriedenheit darüber, wie Politik betrieben wird. Außerdem bestätigte die Untersuchung im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung, was aus den bisherigen Sachsen-Anhalt-Monitoren zu vermuten war: Die Wahlentscheidung hat viel mit Vertrauen zu tun. Je geringer das Vertrauen in die handelnde Politik ist, desto geringer ist die Bereitschaft, zur Wahl zu gehen. Ein weiteres Ergebnis besagt: Je zufriedener die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Situation sind und je höher ihr Bildungsgrad ist, desto eher gehen sie wählen.

Die Ursache für mangelndes Vertrauen in Parteien und Politiker sieht die Studie allerdings weniger in konkreten Fehlleistungen oder Verfehlungen politischer Akteure, sondern darin, dass für viele Menschen der Politikbetrieb an sich ein Rätsel ist.

Aber auch unter den Nichtwählern gibt es Unterschiede und verschiedene Typen. Laut der Studie sind 21 Prozent „Dauer-Nichtwähler“. Dazu kommen „partielle Wahlverweigerer“, die nur an einem Viertel bis an der Hälfte der Wahlen teilnehmen (14 Prozent), „sporadische Nichtwähler“, die nur wenige Wahlen versäumt haben (16 Prozent) und „Erst-Nichtwähler“, die bisher immer wählen gegangen sind, es jetzt aber nicht mehr tun wollen (acht Prozent).

Zudem sind Nichtwähler jünger als Wähler und gehören eher zum einkommensschwachen Bevölkerungsteil und verfügen häufiger über einen Hauptschulabschluss. Allerdings gibt es dabei auch eine Ausnahme: Bei den Erst-Nichtwählern hat etwa jeder fünfte Abitur bzw. einen Universitätsabschluss. Dabei sind Nichtwähler politisch durchaus interessiert und informiert, selbst wenn sie nicht abstimmen gehen. Hier sollte deshalb auch die Kampagne „Demokratie stärken – Du bist Politik!“ ansetzen, um zu zeigen, wie vielfältig politisches Engagement in Sachsen-Anhalt sein kann.

Autor: Martin Hanusch

Infobox - Interview mit Everhard Holtmann -

„Den typischen Nichtwähler oder die typische Nichtwählerin gibt es so nicht“

Herr Prof. Holtmann, Sie haben mit dem Nicht-Wählermonitor erstmals eine Untersuchung zu den Motiven von Nichtwählern in Sachsen-Anhalt vorgelegt? Wer ist nach Ihren Erkenntnissen der typische Nichtwähler, gibt es den überhaupt?

Holtmann: Den typischen Nichtwähler bzw. die Nichtwählerin in der Einzahl gibt es so nicht. Vielmehr lassen sich Untergruppen unterscheiden, was die Entschiedenheit zum Nichtwählen und auch die Intensität demokratiekritischer und politikferner Einstellungen betrifft.

Auf der Basis unserer Befunde für Sachsen-Anhalt unterscheiden wir vier Subtypen: den Dauer-Nichtwähler, den partiellen Wahlverweigerer, den sporadischen Nichtwähler sowie den erstmaligen Nichtwähler.

Nichtwähler sind frustriert und desinteressiert, heißt es. Stimmt das?

Holtmann: Unter Nichtwählern ist die Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie größer, das Misstrauen in Politik und Politiker stärker und auch die resignative Grundhaltung, d.h. das Gefühl, subjektiv auf Politik nicht Einfluss nehmen zu können, deutlicher ausgeprägt.

Besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Nichtwahl und der sozialen Lage?

Holtmann: Teilweise ja. Nichtwähler sind häufiger im einkommensschwachen Bevölkerungsteil anzutreffen. Und unter Dauer-Nichtwählern sind Arbeiter überrepräsentiert.

Was sind sonst die Beweggründe, nicht zur Wahl zu gehen?

Holtmann: Die mit Abstand meistgenannten Beweggründe sind nicht vorhandenes bzw. verlorenes Vertrauen in Politik sowie die Haltung "Wählen ist zwecklos, meine Stimme zählt ohnehin nicht".

Direkt nach den Wahlen wird vielfach über die niedrige Wahlbeteiligung geklagt. Was bedeutet eine solche Wahlenthaltung letztlich für die Demokratie?

Holtmann: Tatsächlich ist bei den letzten (Landtags)Wahlen im Jahr 2016 der langfristige Trend einer zurückgehenden Wahlbeteiligung gebrochen und ins Gegenteil verkehrt worden.

Grundsätzlich gründet eine lebendige Demokratie auf einer möglichst hohen Wahlbeteiligung möglichst aller Schichten der Bevölkerung. Sonst besteht die Gefahr, dass sich schon  an der Wahlurne die Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen, in der Regel jene der besser Verdienenden und formal höher Gebildeten, vorzugsweise durchsetzen.

Welche Empfehlungen hätten Sie hier für die politische Bildung?

Politische Bildung kann und muss dazu beitragen, das zunehmend komplexer und undurchschaubarer gewordene politische Geschehen zu erklären, um die Kluft zwischen Wählenden und Gewählten zu verringern.