Menu
menu

Politische Begriffe in den Medien – Stand während der letzten Regierungsbildung die Staatsräson auf dem Spiel?

Der Schock sitzt vielen politischen Eliten noch in den Knochen. Nach der 19. Bundestagswahl brach die FDP als erste Partei in der Geschichte der BRD die Koalitionsgespräche in der Sondierungsphase ab. Eine schwarz-gelb-grüne, sogenannte Jamaika-Koalition kam nicht zustande. Etwas weniger überraschend war das darauffolgende Einlenken der SPD. 

Von Ronja von der Heydt

Nach ihrer krachenden Wahlpleite mit einem Verlust von 5,2 Prozent bekam die ehemals große Volkspartei gerade einmal 20,5 Prozent der Stimmen und erteilte deshalb der Regierungsverantwortung zunächst eine Absage. Doch auf Grund des hohen politischen Drucks nach dem Jamaika-Aus lenkte die SPD ein und begab sich in Sondierungsgespräche mit dem alten Koalitionspartner, der Union. Ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl wurde der Koalitionsvertrag der erneuten Großen Koalition (GroKo) unterschrieben. Während dieses halben Jahres wurde die SPD in den Medien immer wieder in den Zusammenhang mit dem Begriff der Staatsräson gebracht. Doch was ist eigentlich damit gemeint, wenn die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Die SPD will sich aus Staatsräson Gesprächen mit der Union nicht verweigern.“[1]? War die Staatsräson ausschlaggebend für die Zusammensetzung der Bundesregierung oder ist der Begriff in diesem Zusammenhang eigentlich fehlplatziert?

Um diese Fragen zu beantworten, muss zunächst mit Blick in die politische Ideengeschichte der Begriff der Staatsräson definiert werden. Als einer der bekanntesten Theoretiker der politischen Ideengeschichte gilt Niccolo Machiavelli als Begründer des Diskurses über die Staatsräson.[2] Sein sogenannter Fürstenspiegel „Il Principe“ von 1532 löste, unter anderem mit Sätzen, wie: Der Fürst soll tugendhaft handeln, „wo dies möglich ist, aber auch das Böse tun, wenn es sein muß“[3], seiner Zeit einen Diskurs über die Nutzung von List und Gewalt, Macht und Tugend zur Machtgewinnung aus, der zur Einführung des Begriffes der Staatsräson führte. Machiavelli wurde daher als einer der ersten Theoretiker herausgestellt, der die Normen des Staates „für politisch dysfunktional erklärt“[4] hat. Allerdings lassen sich Gedanken zum Begriff der Staatsräson bereits bei Platon in der Antike finden. Von der Erfindung des Begriffes in der Renaissance über Thomas Hobbes und dem Deutschen Pufendorf, lässt sich die Staatsräson bis in die Neuzeit verfolgen. Herfried Münkler, ein zeitgenössischer Politologe, definiert die Staatsräson als eine „Konkretisierung des epochenübergreifenden Problems, wie Macht und Recht, Zweck und Mittel, Ziel und Weg zusammenzudenken sind“[5]. Die Aufgabe des Staates ist nach Münkler die Verwirklichung von, ihm übergeordneten Normen und Werten. Diese Normen und Werte können jedoch nur mit dem Bestehen der staatlichen Ordnung durchgesetzt werden. Wird die staatliche Ordnung bedroht, können die Normen und Werte kurzfristig übergangen werden, um langfristig durch die Sicherung der staatlichen Ordnung bewahrt zu werden. Die Staatsräson spielt beispielsweise bei der Frage eine Rolle, ob Terroristen gefoltert werden dürfen, um den Standort einer Massenvernichtungswaffe herauszufinden und die Bevölkerung zu schützen. Mit den Worten Münklers „ernennt sich der Staat zum politischen Zweck, indem er versichert, auf die Dauer nur ein Mittel sein zu wollen“[6].

Was hat nun das kurzzeitige Erheben des Staates zum Zweck, um langfristig nur ein Mittel zu sein, mit der SPD zu tun? Zur Beantwortung dieser Frage wurden Zeitungsartikel aus dem Focus, dem Spiegel, der Zeit, der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), der Süddeutsche Zeitung (SZ) und der Tageszeitung (TAZ) auf die Verwendung des Begriffes der Staatsräson im Zusammenhang mit der SPD analysiert. Die häufigste Formulierung lautete, dass die SPD aus Staatsräson in eine GroKo einwilligen solle, da sie so den Erhalt des Staates sichere. Jedoch wurde die Staatsräson auch als Begründung für die erste Entscheidung der SPD, in die Opposition zu gehen, genutzt. Das hieße, die SPD würde einerseits den Staat aufs Spiel setzten, wenn sie keine Regierung mit der Union einginge andererseits dann, wenn sie sich für eine Regierung mit der Union „opfern“ würde. An dieser Stelle wird deutlich, dass die aus der Staatsräson folgende Handlung nicht genau bestimmt werden kann. So ist die vornehmlich in den Artikeln vertretene Meinung, dass eine GroKo dem Staatserhalt diene; ein geringer Teil jedoch hält die Opposition für den richtigen Platz dies zu tun.

Der Wesensgehalt der Staatsräson besteht im Selbstzweck des Staates. Seine Existenz sichert das Zusammenleben der Gesellschaft, die Durchsetzung von Normen und Werten durch Gesetze und die Sicherung von Freiheit und Wohlergehen der Bevölkerung. Dass innerhalb des Staates die Gesetze, wenn nötig durch Staatsgewalt eingehalten werden können, stellt somit die Grundvoraussetzung für die Existenz des Staates dar. Die Entscheidung der SPD, nach der Bundestagswahl eine Regierung zu bilden oder in die Opposition zu gehen, gefährdet die staatliche Ordnung jedoch nicht. Statt, wie in den Artikeln geltend gemacht wurde der SPD zu unterstellen, mit jeweils einer der Handlungsmöglichkeiten gegen die Staatsräson der BRD zu handeln, bilden beide Entscheidungen der SPD den existenziellen Grundstein einer funktionierenden Demokratie, da sie mit beiden Handlungsoptionen gemäß den Gesetzen des Deutschen Grundgesetzes handelt. Aus seiner Begriffshistorie geht hervor, dass es sich bei Handlungen aus Gründen der Staatsräson darum handelt, den Staat selbst zu schützen, um auf Dauer das Gesellschaftssystem erhalten zu können. Voraussetzung dafür ist eine Bedrohung des Staates. Da diese weder durch die SPD noch andere Faktoren während der Regierungsbildung gegeben war, fand die Staatsräson im medialen Diskurs keine sinngemäße Verwendung.

 


[1] Fried, N.; Hickmann, C.; Rossmann, R.: Schleppend Richtung große Koalition, Süddeutsche Zeitung, Nr. 277, 73. Jahrgang, vom 02./ 03.12.2017, S. 1.

[2] Meinecke, Friedrich: Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, 1957, S. 34.

[3] Machiavelli, Niccolò: Der Fürst, 1990, S. 88.

[4] Münkler, Herfried: Im Namen des Staates, 1987, S. 17.

[5] Münkler, Herfried: Im Namen des Staates, 1987, S. 18.

[6] Ebd., S. 13.