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Spanien und Europa: Die Anfänge

von Martin Wöllner

Die EU scheint so unbeliebt wie nie: Kein Land, in dem sich nicht Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit mehren würden. Dabei hat der europäische Staatenbund historisch einen großen Anteil am friedlichen Zusammenleben der Staaten. Wie aus Spaniens Diktatur eine Demokratie wurde und welche Rolle die junge EU dabei gespielt hat, erläutert Martin Wöllner.

Während die meisten Staaten Westeuropas sich nach dem Zweiten Weltkrieg schnell demokratisierten, blieben die drei südlichen Länder Griechenland, Spanien und Portugal noch bis in die 1970er diktatorisch. Für den Wandel zur Demokratie spielte die Europäische Union bzw. ihre Vorgängerorganisationen eine wichtige Rolle. Mit der Gründung der Zweiten Republik gewannen 1931 die europafreundlichen Kräfte in Spanien die Oberhand. Ihr Sieg war jedoch nur von kurzer Dauer: 1936, mit dem beginnenden Bürgerkrieg und dem Sieg der Franquisten, den Anhängern des späteren Diktators Francisco Franco, übernahmen 1939 die Traditionalisten die Macht.

Spanien unter Franco

Das Ende des Bürgerkrieges fiel mit dem Beginn des Zweites Weltkrieges zusammen, an dem das Franco-Regime jedoch nicht aktiv teilnahm, da es seine Macht festigen musste. In der Nachkriegszeit isolierte sich Spanien und betrieb eine Autarkiepolitik. Neben der außenpolitischen Isolation wandelte sich Spanien innenpolitisch zu einer Diktatur. Es kam zu Verhaftungen und Ermordungen politischer Gegner, vor allem von Kommunisten und Anarchisten. Arbeitervereine wurden verboten und ein Einparteiensystem verfestigt. Unter dem nationalistischen Charakter und dem Ziel der „vollständigen nationalen Einheit“ wurden alle anderen Sprachen Spaniens unterdrückt; nur Spanisch war offiziell zugelassen. 1956/57 kam es jedoch zu einer Krise: Enorme Preissteigerungen führten zu sozialen Unruhen. Hinzu kam ein großes Handelsdefizit. Von außen lockte die neugegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die Vorgängerin der EU, mit verbesserten Handelsmöglichkeiten. Obwohl Franco gegenüber dem europäischen Projekt skeptisch war, entschied er sich unter dem Druck der desolaten Wirtschaftslage für eine Neuorientierung der Wirtschaftspolitik. Steuergesetze, Zollgesetze und Wettbewerbsgesetze wurden reformiert,  zudem wurde die Regierung umgebildete, sodass die Ministerien für Handel und Finanzen durch Mitglieder des katholischen Opus Dei besetzt wurden. Diese Laienorganisation der römisch-katholischen Kirche strebte damals in Spanien eine Liberalisierung und Rationalisierung der Wirtschaft an und war in ihren Bemühungen um politischen Einfluss sehr erfolgreich. Die EWG avancierte schnell zum wichtigsten Handelspartner des Landes. Zwischen 1961 und 1965 stiegen die Importe von 26% auf 37%, die Exporte beliefen sich auf rund 37% pro Jahr. Im Zuge daran reichte Spanien 1962 einen „Antrag auf Assoziierung“ ein mit dem Ziel, in die EWG aufgenommen zu werden.
Die wirtschaftliche Öffnung Spaniens allein genügte der EWG jedoch nicht. Mit Verweis auf die gerade erst in Kraft getretene Birkelbach-Doktrin wurde der Antrag abgelehnt. In dieser, nach dem SPD-Politiker Willi Birkelbach benannten Doktrin legte die EWG 1962 fest, dass eine Mitgliedschaft nicht nur an wirtschaftliche und geographische, sondern auch an politische Aspekte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geknüpft sein muss. Dies stellte Spanien vor eine unüberwindbare Hürde: Franco war zwar zu einer wirtschaftlichen, nicht aber zu einer politischen Liberalisierung bereit. Die EWG wiederum brachte ihre Forderungen in Form von Resolutionen, Protesten, Mahnungen und andere Maßnahmen zum Abbruch der Beitrittsverhandlungen zum Ausdruck. Als Beispiel sei hier die scharfe Verurteilung der geplanten Hinrichtung des Anarchisten Puig Antich genannt. Insgesamt befand sich Spanien im Zugzwang, wenn es nicht vom europäischen Integrationsprozess ausgeschlossen werden wollte.

Schrittweiser Übergang zur Demokratie

Der Druck, den die EWG von außen ausübte, begünstigte Oppositionsströmungen innerhalb des Landes und unterminierte so von innen Francos Position. Weite Teile der neuen Industrie-Bourgeoisie sahen die Diktatur als hinderlich für ihre wirtschaftliche Entwicklung und Eingliederung in den europäischen Markt. Zudem befürwortete eine breite Masse der Mittelschicht eine Demokratisierung, zumal die traditionellen Werte des Regimes der sich säkularisierenden und modernisierenden Gesellschaft gegenüberstanden. Doch trotz der anwachsendenWiderstände stellte sich selbst mit Francos Tod am 20. November 1975 nicht sofort ein Bruch mit dem alten System ein. Vielmehr erfolgte ein schrittweiser Übergang zu Demokratie, la transición genannt. Die Demokratisierung war ein Produkt aus Verhandlungen und Abkommen zwischen den verschiedenen politischen Akteuren, wobei Francos Nachfolger König Juan Carlos einen Balanceakt zwischen den Forderungen der Linken und der Mitte auf der einen und den konservativen Kräften auf der anderen Seite vollziehen musste. Die einen forderten einen radikalen Bruch mit dem alten System, die anderen waren bestenfalls zu kleinen Reformen bereit. Man entschied sich gegen einen radikalen Bruch und setzte auf einen langsamen Wandel. 
Ein erster wichtiger Schritt darin war die Absetzung von Carlos Arias Navarro, der Ministerpräsidenten aus Francos Lebzeiten, zugunsten des ebenfalls aus dem altem Regime stammenden, aber reformfreudigen Adolfo Suárez. International orientierte sich Spanien jetzt gen Europa. Dies betraf sowohl die politischen Eliten, die politischen Parteien als auch die Mehrheit der Bevölkerung. Die EG unterstützte Spanien hinsichtlich der neuen Europapolitik mit Deklarationen, Empfehlungen und politischen Dialogen. Sie übte jedoch auch Druck aus, stellte Forderungen und Bedienungen. Finanziell gewährte sie Spanien einen Kredit, politisch gab sie Empfehlungen zum Wahlsystem und zur Legalisierung der Kommunistischen Partei. Durch ein Wechselspiel der internen und externen Akteure kam es 1977 nicht nur zu den ersten freien Wahlen, sondern es wurde auch das Beitrittsgesuchs zur EU gestellt. Dennoch dauerte es noch elf Jahre bis Spanien im Jahr 1986 ein vollwertiges Mitglied der Europäischen Gemeinschaften wurde.