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Ausgebremst: Der NSA-Untersuchungsausschuss

von Christopher Hamich

Die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden haben seit 2013 weltweit eine Debatte über digitale Bürgerrechte und die Befugnisse von Geheimdiensten in Gang gesetzt. In Deutschland wurde eigens ein Untersuchungsausschuss eingerichtet, um die Verstrickungen deutscher Nachrichtendienste in die amerikanische Überwachungspraxis aufzuklären und zu kontrollieren. Ob das erreicht wurde, hat Christopher Hamich in einer Studienarbeit untersucht.

Im deutschen parlamentarischen System stellen Untersuchungssausschüsse (UA) traditionell ein Werkzeug der Parlamentsminderheit (Opposition) dar, um die Öffentlichkeit auf mögliche Fehler der Regierungsfraktionen (Parlamentsmehrheit) aufmerksam zu machen und die amtierende Regierung so unter Druck zu setzen.i Um einen UA einzusetzen, genügt die Zustimmung eines Viertels der Abgeordneten; ein Anteil, den die Opposition normalerweise problemlos aufbringt. Anders in der 18. Legislaturperiode: Da CDU-, CSU- und SPD-Fraktion miteinander eine Große Koalition eingingen, stellte die Opposition aus GRÜNEN und LINKEN nur 20 Prozent der Abgeordneten. Zwar wurde zu Beginn der Regierungszeit eine Einigung getroffen, wonach der Opposition trotzdem Minderheitenrechte zukommen sollten, so dass am 20. März 2014 der NSA-UA einberufen werden konnte.ii Er setzte sich aus acht Abgeordneten zusammen und bildete, wie für Ausschüsse üblich, die Mehrheitsverhältnisse des Bundestages ab. Sechs Abgeordnete von CDU, SPD und CSU standen je einem GRÜNEN und einer LINKEN Abgeordneten gegenüber. Wie sich zeigen wird, wurde diese zahlenmäßige Unterlegenheit der Opposition im späteren Verlauf der Ermittlungen zum Verhängnis.

Die Arbeit des Ausschusses gestaltete sich von Beginn an schwierig, was auf den Grundkonflikt zwischen dem Interesse nach Geheimhaltung der Nachrichtendienste einerseits und dem Interesse der Opposition nach größtmöglicher Öffentlichkeit andererseits zurück zu führen ist.

Es lohnt sich ein genauerer Blick auf drei ausgewählte Fälle, die in der medialen Berichterstattung besonders hervorgehoben wurden.

Der „unabhängige“ Sachverständige

Neben der Einsetzung des Ausschusses bekam die Problematik der sogenannten "Selektorenliste" die meiste mediale Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich um eine Liste von Suchbegriffen, die der BND für die NSA ausspähte. Die Bundesregierung verweigerte die Herausgabe dieser Begriffe. Nach Kritik schuf sie stattdessen mit der "unabhängigen Sachverständigen Vertrauensperson"i ein völlig neues Instrument ohne rechtliche Grundlage. Der Jurist Dr. Kurt Graulich wurde Vertrauensperson und sollte die Liste einsehen. Er fühlte sich explizit nur der Bundesregierung gegenüber verpflichtet und übernahm offenbar auch Textbausteine aus BND-internen Gutachtenii. Nicht den für UAs vorgesehenen Ermittlungsbeauftragten zu nutzen, folgt dabei einer inneren Logik, denn dieser wäre „im Rahmen [seines] Auftrags unabhängig“iii. Das sollte allem Anschein nach verhindert werden.

Schwärzungen in den Akten

Auch die Schwärzung von Aktenmaterial war ein langanhaltendes Politikum des NSA-UA. So kam es sogar zu öffentlich vorgetragener Kritik der Ausschussmehrheit (Koalitionsfraktionen), obwohl sie ja eigentlich nur still kontrolliert. Die Minderheit (Oppositionsfraktionen) spricht von Schwärzungen „in nie gekanntem Umfang“iv. Trotz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, dass jede Schwärzung von Akten zu begründen seiv, hat die Regierung pauschale Begründungen verwendet. Zudem sind Akten oft ohne Systematik herausgegeben worden, so dass ihre Vollständigkeit nicht zu überprüfen war. Diese Aktenpraxis stand einer effizienten Kontrollarbeit definitiv im Wege.

Keine Anhörung von Edward Snowden

Immense Aufmerksamkeit erregte die durch die Opposition angedachte Befragung von Edward Snowden als Zeugen. Da Snowden sich im Ausland aufhielt, musste die Bundesregierung bei der Zeugenvorladung mitwirken - wozu sie verpflichtet ist. Schon die Ausschussmehrheit verweigerte aber das dafür nötige Amtshilfeersuchen. Sie brachte die „Gefährdung des Staatswohls“ sowie die These vor, dass man Snowden beim Besuch ausliefern müsse - eine juristisch strittige Einschätzungvi. Nach der Ablehnung eines Amtshilfeersuchens durch die Ausschussmehrheit zog die Minderheit vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser ist für Organstreitigkeiten in UAs zuständig.

Hier zeigte sich nun das eingangs angesprochene Problem der geringen Oppositionsstärke. Denn nicht nur zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, auch bei Anträgen innerhalb eines Ausschusses gilt ein Quorum von 25 Prozent. Ein erstes Urteil gab der Minderheit zwar recht, doch nach Beschwerde entschied der BGH, dass die Minderheitsrechte nicht gelten.vii Schließlich waren die Minderheitenrechte lediglich informell bestätigt worden; zu einer gesetzlichenVerankerung war es nicht gekommen. Eben aufgrund dieser fehlenden Verankerung sah das Gericht keine Basis, den Antrag auf Amtshilfe im Rahmen der Minderheitsrechte zu gewähren.

Das ist mit Blick auf die Effektivität des Ausschussesein entscheidender Einschnitt. Grundlegend wurden die Minderheitsrechte im Verfahren zwar gewahrt, sie waren ab hier allerdings Rechte aus Generosität der Mehrheit; der Klageweg der Ausschussminderheit war versperrt. Damit war eine effektive Kontrolle spezifisch im Falle Snowdens nicht möglich.

Nur mäßige Berichterstattung

Hinzu kam, dass die öffentliche Resonanz zwar tendenziell hoch, im Themenfeld der Geheimdienste aber eher mäßig ausfiel. Eine Auszählung von Artikeln mit klarem Bezug zum NSA-Ausschuss in vier großen Tageszeitungen und zwei wöchentlichen politischen Magazineni ergibt folgendes Bild:

Das ist eine sehr typische Kurve für einen UA, wie es Riede und Scheller 2013 in einer Untersuchung der Skandalisierungsverläufe von UAs herausgestellt haben.xi

Da beim Themenfeld der Geheimdienste von einem höheren Berichterstattungspotential ausgegangen werden kann, dient der gleichsam ausgezähltexii BND-Untersuchungsausschuss von 2006 bis 2009 als Vergleichsobjekt.


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Fazit und Ausblick

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der NSA-Ausschuss nicht in allen, aber in einigen wesentlichen Punkten durch Regierung und/oder Ausschussmehrheit an seiner Kontrollarbeit behindert wurde. Auch wenn dies nicht mit einer gänzlichen Unterdrückung der Arbeit gleichzusetzen ist: Die Geheimdienste waren der Kontrolle durch den Bundestag, und damit auch durch die Bürgerschaft, teilweise entzogen.

Für den aktuellen Bundestag scheint das Problem der Minderheitsrechte gelöst, da die Oppositionsfraktionen wieder mehr als 2 Prozent der Mitglieder ausmachen. Das Problem erledigt sich damit freilich nicht. In Anbetracht der weiteren Kontrolleinschränkungen ist eine Reform des Untersuchungsausschussgesetzes anzumahnen, bei der beispielsweise eine unabhängige Schiedsstelle für Aktenschwärzungenxiii zu diskutieren wäre.

 

 

i Steffani, Winfried: Parlamentarische und präsidentielle Demokratie. Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979, S. 1334.

ii Der NSA-Untersuchungsausschuss oder offiziell "1. Untersuchungsausschuss der 18. Legislaturperiode": Deutscher Bundestag: 1. Untersuchungsausschuss ("NSA"), bundestag.de 2017, https://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/ua/1untersuchungsausschuss, 20.02.2018.

iii Deutscher Bundestag: Drucksache 18/12850. Beschlussfassung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Gundgesetzes, entschwärzte Fassung von netzpolitik.org 2017. https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2017/06/1812850-ungeschwaerzt-markiert.pdf, 24.06.2017.

iv Vgl. Denkler, Thorsten: Zweifel an der Unabhängigkeit, sueddeutsche.de 2015, http://www.sueddeutsche.de/politik/nsa-zweifel-an-der-unabhaengigkeit-1.2722406, 06.03.2018.

v Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages. PUAG 2004, https://www.gesetze-im-internet.de/puag/BJNR114210001.html, 27.06.2017.

vi Entwurf Abschlussbericht 1. Untersuchungsausschuss. Vierter Teil: Gemeinsames Sondervotum der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, netzpolitik.org 2017. https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2017/06/2017-06-20_NSAUA-Sondervotum-Opposition-geschwaerzt.pdf, 24.06.2017, S. 20.

vii Vgl. Bundesverfassungsgericht: Beschluss des Zweiten Senats vom 17. Juni 2009. 2 BvE 3/07, bundesverfassungsgericht.de 2009, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Down-loads/DE/2009/06/es20090617_2bve000307.pdf?__blob=publicationFile&v=1, 28.06.2017.

viii Vgl. Armbrüster, Tobias: "Die Bundesregierung dürfte Snowden nicht ausliefern", deutschlandfunk.de 2016, http://www.deutschlandfunk.de/nsa-untersuchungsausschuss-die-bundesregierung-duer-fte.694.de.html?dram:article_id=372189, 20.07.2017.

ix Bundesgerichtshof: Antrag der Oppositionsmitglieder im NSA-Untersuchungsausschuss zurückgewiesen, bundesgerichtshof.de 2017, http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtspre-chung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktu-ell&Sort=12288&anz=581&pos=6&nr=77708&linked=pm&Blank=1, 22.07.2017.

x Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt, Süddeutsche Zeitung (inklusive Sonntags- bzw. Wochenendausgabe), taz. die tageszeitung sowie Die Zeit und Der Spiegel. Es gelten spezifisch ausschussbezogene Artikel, beiläufige Erwähnungen wurden nicht gezählt.

xi Vgl. Riede, Matthias, Henrik Scheller: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse im Deutschen Bundestag. Bloßes Skandalisierungsinstrument der Opposition?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Bd. 44, 2013, S. 93–114.

xii Wie Fußnote 3.

xiii Ein Vorschlag des ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, Vgl. Zeit Online: BND-Affäre. Opposition wirft Regierung Lüge vor, zeit.de 2017, http://www.zeit.de/news/2017-06/28/geheimdienste-nsa-untersuchungsausschuss-legt-abschlussbericht-vor-28053402, 06.03.2018.