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Schulerfolg und soziale Herkunft

von Stefanie Lübcke

In Deutschland könne jeder das werden, was er sein wolle. Dass Kinder mit Migrationshintergrund hierzulande deutlich schwächere schulische Leistungen zeigen als Andere, sei allein eine Frage des Wollens und der Intelligenz. Denn hierzulande ist ja schließlich jeder seines eigenen Glückes Schmied, oder etwa nicht? Stefanie Lücbke widerspricht und verweist in ihrer Studienarbeit auf Erkenntnisse der Schulforschung.

Spätestens seit der ersten Pisa-Studie im Jahr 2000 ist klar, dass gerade in Deutschland die Bildungschancen und die damit verbundenen Chancen auf ein gutes Leben äußerst ungleich verteilt sind. In kaum einem anderen Land ist der Unterschied in der schulischen Leistung zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund so groß wie in Deutschland. Dabei sind die „ausländischen“ Kinder hierzulande nicht einfach dümmer als ihre Altersgenossen anderswo. Denn bei der Betrachtung von internationalen Studien, die sich genau mit dieser Fragestellung beschäftigen, wird klar, dass keineswegs der IQ von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland flächendeckend unter dem Durchschnitt liegt. Es  sind viel mehr strukturelle Hürden, die es den "ausländischen" Kindern so schwer machen, in der Schule mitzukommen. Eine der wichtigsten Hürden ist die immense Abhängigkeit des Bildungserfolges eines Kindes von der sogenannten sozialen Herkunft. 

Entscheidend sind Bildung, Beruf und Einkommen der Eltern

Die soziale Herkunft wird in der Regel durch den sogenannten sozioökonomischen Status der Eltern erhoben. Dies ist ein Index, der durch die Kombination der Variablen Bildung, Beruf und Einkommen beschreibt, wo sich ein Mensch innerhalb einer Gesellschaft verordnen lässt. Somit haben zum Beispiel Ärzte und Anwälte einen sehr hohen sozioökonomischen Status und erwerbslose Menschen mit einem niedrigen Schulabschluss einen eher niedrigen. 

Aber auch durch die sogenannten Bildungsherkunft eines Kindes, sprich: welchen Schulabschluss seine Eltern haben, wird die soziale Herkunft erfasst. Da statistisch gesehen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland eher einen niedrigen sozioökonomischen Status haben und einen geringeren Bildungsabschluss, der Schulerfolg in Deutschland aber so maßgeblich von diesen beiden Faktoren abhängt, ist es also kein Wunder, dass "ausländische" Kinder in Deutschland geringere schulische Leistungen vollbringen als Andere. Der französische Wissenschaftler Pierre Bourdieu erklärte derartige Mechanismen mit seiner Kapitaltheorie. 

Pierre Bourdieus Kapitaltheorie

Dieser Theorie nach wird jeder Mensch mit einer gewissen Ausstattung an Kapitalien geboren. Darunter fallen beispielsweise Geld, Wissen und soziale Beziehungen. In welchem Umfang diese Kapitalausstattung ausfällt, hängt damit zusammen, in welche Familie ein Kind hinein geboren wird. Der Charakter und das Verhalten eines Menschen entwickeln sich dann in Abhängigkeit von der genannten Kapitalausstattung während der Sozialisation innerhalb der Familie. Teilweise genetisch bedingte Faktoren wie die Intelligenz, die Interessen oder die Fähigkeiten geraten durch die Abhängigkeit der Entwicklung eines Menschen von der Kapitalausstattung der Eltern in den Hintergrund. Denn auch die Interessen, das Wissen und die Fähigkeiten werden maßgeblich dadurch geformt, dass sie während der Sozialisation von den Eltern gefördert und gefordert werden. Da nicht jedes Kind mit der gleichen Kapitalausstattung geboren wird, weil ja auch nicht alle Elternhäuser gleich viel Geld, Wissen und Beziehungen haben, begegnet das Schulsystem einer unglaublich heterogenen Gruppe an Menschen, auf die es einzugehen gilt. 

Die Kapitalausstattung, die Bourdieu in seiner Theorie beschreibt, kann teilweise durch den zuvor genannten Index des sozioökonomischen Status und die Bildungsherkunft beschrieben werden. Dadurch, dass in Deutschland ein Kind maßgeblich von dem sozioökonomischen Status seiner Eltern abhängig ist und in Deutschland gerade Familien mit einem Migrationshintergrund einen geringen sozioökonomischen Status haben, kommt es dazu, dass Kinder mit einem Migrationshintergrund in Deutschland geringere schulische Chancen haben, als Kinder ohne einen Migrationshintergrund. 

In Deutschland wird auf die heterogene Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Kapitalformen unwahrscheinlich schlecht reagiert. Die Ergebnisse der Pisa-Studien der letzten Jahre zeigen, dass das deutsche Schulsystem die ungleiche Verteilung von den materiellen und symbolischen Profiten unserer Gesellschaft reproduziert. Schon vor dem Eintritt in die Schule steht unabhängig von den tatsächlichen Fähigkeiten und Potenzialen eines Kindes, wie es der internationale Vergleich beweist, fest, welches Kind erfolgreich und welches Kind weniger erfolgreich in der Schule sein wird. Seines eigenen Glückes Schmied ist in Deutschland also maximal derjenige, dessen Eltern genügend Geld, Wissen und Beziehungen haben.