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Von „Low Cost“-Partizipanten zu politisch Engagierten

von Sophie Herrmann

Zur Ausgangslage: Trend zur „Low Cost“-Partizipation

Es klingt zu schön: Die bekannte Shell Jugendstudie hat in ihrer neuesten Ausgabe ein gesteigertes politisches Interesse unter jungen Menschen festgestellt[1]. Doch leider wird dieses gesteigerte Interesse nicht auf der Ebene der politischen Beteiligung sichtbar, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt.[2] Vielmehr veranschaulichen deren Ergebnisse, dass nur wenige junge Leute wirklich politisch aktiv werden.[3] Wenn sich auch immerhin 42 % der 14- bis 29-jährigen in einem gesellschaftlich-politischen Sinne engagieren, so werden doch nur 16 % der Befragten in einem engeren politischen Sinne aktiv.[4]

Es ergibt sich ein Gesamtbild, wonach die Bereitschaft zur Partizipation erheblich höher ist als die tatsächliche Beteiligung.[5] Wobei es mit der Beteiligung oft nicht weit her ist: Sie beschränkt sich zu großen Teilen auf Aktivitäten, die mit einem geringen Aufwand verbunden sind, auch „Low-Cost“-Partizipation genannt.[6] Beispiele dafür sind politisch motivierter Konsum oder die Teilnahme an einer Unterschriftensammlung.

Was ist politische Partizipation?

Woran liegt es, dass nur so wenige der vielen politisch interessierten jungen Leute auch wirklich aktiv im politischen Betrieb mitmachen? Um das zu erforschen, muss erst einmal geklärt werden, was unter politischer Partizipation genau zu verstehen ist. Die gängigste Definition stammt von Max Kaase: Politische Partizipation umfasst alle Handlungen, „die Bürger freiwillig mit dem Ziel vornehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen“[7]. Man unterscheidet drei[8] Typen:

1. Konventionelle Partizipation, also Tätigkeiten, die im institutionalisierten politischen Bereich stattfinden, wie Wählen oder die Mitarbeit in einer Partei.

2. Demgegenüber geht es bei unkonventioneller Partizipation um Handlungsformen, die zwar nicht in politischen Institutionen stattfinden, jene aber zum Adressaten haben; Demonstrationen und Unterschriftenlisten zum Beispiel.

3. Als dritte Form verwenden die untersuchten Studien den Typ der sozialen bzw. expressiven Form, da damit eine motivationale bzw. expressive Komponente verbunden wird. Beispielhaft für diese Handlungsform sind politischer Konsum oder Diskussionen im öffentlichen oder virtuellen Raum.[9]

Nach dem berühmten Erklärungsmodell von Verba et al. haben drei Faktoren einen Einfluss darauf, ob Menschen partizipieren: Ressourcensoziale Netze und Motivation.[10] Ressourcen umfassen das Geschlecht, das Alter und die Bildung. Mit sozialen Netzen sind Freunde und Familie gemeint. Unter Motivation im engeren Sinne wir von den Autoren der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung politisches Interesse, Selbstwirksamkeit, kritische Werteorientierung und das Vertrauen in Institutionen verstanden.[11]

Motivation versus Hürden

Was führt nun also dazu, dass sich junge Leute politisch engagieren? Laut der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung tragen auf der Ebene der sozialen Netze am meisten der Einfluss von Eltern und FreundInnen dazu bei. Hinsichtlich der Ressourcen gibt die Bildung eine klare Auskunft über die Aktivität im Feld der politischen Partizipation.

Die Bedeutung von Bildung und sozialen Netzen sind gar nicht hoch genug einzuschätzen, wenn man bedenkt, dass sich hier auch die wichtigsten Gründe finden, die aus der Sicht junger Leute gegen politische Beteiligung sprechen. So, wie politisch aktive Freunde und Familienmitglieder einerseits dazu beitragen, dass sich jemand politisch engagiert, so kann andererseits ein unpolitisches soziales Umfeld als hinderlich für das Engagement empfunden werden: weil die Reaktionen gescheut werden, die das politische Handeln auslösen (könnte).

Bei den Motivationen im engeren Sinne sind als wichtigste Faktoren kritische Wertorientierung, politisches Interesse, Selbstwirksamkeit, Gemeinschaftssinn und das Streben nach persönlicher Weiterentwicklung anzuführen. Wenn es an diesen Faktoren mangelt, ergeben sich Hürden zum Engagement.[12] Allerdings kann man davon ausgehen, dass die Motivation eines Menschen stark bedingt wird durch seine Bildung und sein politisches Umfeld; es scheint auszureichen, wenn eine der beiden Dimensionen vorhanden ist, damit es zu Partizipation kommt.

Politische Bildung fördern

Bildung und ein politisch engagiertes Umfeld sind also ausschlaggebend dafür, ob sich junge Menschen politisch engagieren. Welche Handlungsanweisungen ergeben sich aus dieser Erkenntnis für politische Bildungsträger?

Im Hinblick auf die Motivation im weiteren Sinne sollten Angebote geschaffen werden, die junge Menschen mit den genannten Faktoren ausstatten. Ein möglicher Ansatzpunkt wäre beispielsweise die Förderung von Projekttagen zur politischen Partizipation. Diese Angebote sollten von externen AkteurInnen durchgeführt werden, damit die SchülerInnen mit von der Schulbildung abweichenden Themen und politischen BildnerInnen in Kontakt treten können.

Ein weiterer Ansatz wäre die Förderung von Jugendzentren, indem diese z.B. durch politische BildnerInnen ausgestattet werden.

Im Hinblick auf die Motivation im engeren Sinne wäre das Entwickeln von Konzepten vorstellbar, die das politische Interesse fördern. Vor allem sollten die Wünsche junger Menschen nach kritischen Wertorientierungen und nach Selbstwirksamkeit Beachtung finden.

Als Ausgangspunkt könnten die Ergebnisse diesbezüglicher qualitativer Forschung dienen, die Beispiele dafür liefern, was sich junge Menschen als Voraussetzung für das politische Engagement wünschen. Qualitative Studien, in denen bereits politisch aktive junge Leute nach ihren Ideen gefragt wurden, zählen verstärktes Behandeln von politischen Themen in der Schulbildung auf sowie eine Steigerung des Kontaktes von Politikern mit jungen Menschen sowie die Flexibilisierung von Partizipationsformen.[13]

Mehr Mitsprache, weniger Bindung

Im Hinblick auf die Parteiarbeit wünschen sich die Befragten, dass Parteimitgliedschaft nicht zwingend erforderlich sein sollte. Zudem sollten auch junge Mitglieder mehr Einfluss erhalten, als dies gegenwärtig der Fall ist. Außerdem wünschen sie sich mehr Klarheit in der Programmatik, das Einbinden von Freizeitmöglichkeiten und die Möglichkeit zu kurzfristigem Engagement.[14]

Diese Ergebnisse könnten und sollten den Parteien als Leitfaden bei der Suche nach Nachwuchsmitgliedern dienen. Weitere quantitative Forschungen wäre zudem wünschenswert; so könnte überprüft werden, ob die vorgestellten Ergebnisse der qualitativen Forschung auch für große Teile der jungen Menschen in Deutschland zutreffen.

[1] Vgl. Albert, Mathias (Hrsg.). 2015. Jugend 2015.  17. Shell Jugendstudie. Verfügbar unter: http://www.shell.de/ueber-uns/die-shell-jugendstudie/jugend-und-politik.html (Abruf am 10.12.2017).

[2] Vgl. Gaiser, Wolfgang und Johann de Rijke. 2016. Jugend und politische Partizipation heute. In: Wolfgang Gaiser (Hrsg.), Jung – politisch – aktiv?! Politische Einstellungen und politisches Engagement junger Menschen: Ergebnisse der FES-Jugendstudie 2015. Bonn: Dietz, S. 52.

[3] Vgl. Wolfgang Gaiser (Hrsg.), Jung – politisch – aktiv?! Politische Einstellungen und politisches Engagement junger Menschen: Ergebnisse der FES-Jugendstudie 2015. Bonn: Dietz.

[4] Vgl. Steinwede, Jacob, Katharina Sandbrink und Julian von der Burg. 2016. Fragestellung, Methodik und Basisbefunde der empirischen Studie. In: Wolfgang Gaiser, 2015.

[5] Vgl. Gaiser/Rijke, Jugend und politische Partizipation heute, S. 52.

[6] Vgl. Diekmann, Andreas und Peter Preisendörfer. 2001. Umweltsoziologie. Eine Einführung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl, S. 117.

[7] Kaase, Max. 1997. Vergleichende politische Partizipationsforschung. In: Dirk Berg-Schlosser und Ferdinand Müller-Rommel (Hrsg.), vergleichende Politikwissenschaft. Ein einführendes Studienhandbuch. Opladen: Leske + Budrich, S. 160.

[8] Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von weiteren Unterscheidungen. Hier werden jedoch nur die drei Typen erläutert, die auch in der entsprechenden Studie einbezogen wurden.

[9] Vgl. zu den drei Typen: Gaiser/Rijke, Jugend und politische Partizipation heute, S. 51.

[10] Vgl. Verba et al. 1995. Voice and equality. Civic voluntarism in American politics. Cambridge, Mass. u. a.: Harvard Univ. Press, S. 15.

[11] Vgl. Gabriel, Oscar W. und Kerstin Völkl. 2008. Politische und soziale Partizipation. In: Oscar W. Gabriel und Sabine Kropp (Hrsg.), Die EU-Staaten im Vergleich. Strukturen, Prozesse, Politikinhalte. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / GWV Fachverlag GmbH, Wiesbaden, S. 289.

[12] Vgl. Gaiser/Rijke, Jugend und politische Partizipation heute, S. 62 ff.

[13] Vgl. Schröder, Achim. 2016. „In kleinen Schritten die Welt verändern“- Ausgewählte qualitative Daten der FES-Jugendstudie 2015 und ihre biographische Deutung. In: Wolfgang Gaiser (Hrsg.), Jung – politisch – aktiv?! Politische Einstellungen und politisches Engagement junger Menschen: Ergebnisse der FES-Jugendstudie 2015. Bonn: Dietz, S. 116.

[14] Vgl. Krell, Christian und Marcel Dresse. 2016. Partei-Identifikation und politisches Engagement. Die Werte der Sozialen Demokratie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In: Wolfgang Gaiser (Hrsg.), Jung – politisch – aktiv?! Politische Einstellungen und politisches Engagement junger Menschen: Ergebnisse der FES-Jugendstudie 2015. Bonn: Dietz, S. 173.