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Rollenbilder in West und Ost

Knapp 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung bestehen trotz der erfolgreich vollzogenen Transformationsprozesse nach wie vor Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. Markus Kasseckert untersucht, wie viel Einfluss die alte Rollenbilder von Mann und Frau aus BRD- und DDR-Zeiten heute noch auf die Frage haben, welcher Partner innerhalb der Familie die finanzielle Absicherung und welcher die Reproduktionsarbeit übernimmt.

Von Markus Kasseckert

In der BRD prägte vor allem das „Hausfrauenmodell der männlichen Versorgerehe“[1] das Familien­bild. Zwar wurde dies mit der Zeit durch Reformen der sozialliberalen Koalition 1969 bis 1982 suk­zessive aufgeweicht, um auch Frauen aktiv in die Erwerbsarbeit zu bringen. Allerdings sollte dabei nicht ihre traditionelle Rolle als erziehende Mütter innerhalb der Familie vernachlässigt werden; Teilzeiterwerbsmodelle waren vorherrschend. In der ehemaligen DDR hingegen bestand für Frauen gemäß des sozialistisch-industriellen Gedankens von Anfang an nicht nur ein Recht auf Arbeit, son­dern eine Pflicht zur Arbeit[2]. Entsprechend entlastend wurde die Familienpolitik gestaltet. Somit er­gab sich der hohe Anteil vollzeiterwerbstätiger Mütter von 90 % vor der Wende[3].

Hält die Annahme, dass sich die historisch gewachsenen Diskordanzen auch heute noch manifestie­ren, einer statistischen Untersuchung stand? Sind auch andere Faktoren neben der Sozialisation denkbar, welche die Entscheidung von Frauen mit Kindern für oder gegen Arbeit beeinflussen? So könnte etwa die tatsächliche Anzahl der Kinder einen starken Einfluss haben. Aber auch die Höhe des Partnereinkommens kann besonders vor dem Hintergrund des traditionellen Rollenverständnis­ses und der nach wie vor bestehenden Gehaltsunterschiede zwischen Mann und Frau ein möglicher Einflussfaktor sein.

Deutliche Unterschiede

Ein Blick auf die allgemeine Erwerbstätigkeit von Frauen der Jahrgänge 1967-1987 zeigt, dass sie mit 73,71 % in den alten Bundesländern nur marginal niedriger ist als in den neuen Bundesländern mit 74,08 %. Tatsächlich betrug jedoch im Jahr 2009 die Vollzeiterwerbsquote unter erwerbstätigen Frauen im Westen 24,1 %, im Osten hingegen 56,8 %. Spiegelbildlich dazu stellt sich die Teilzeiterwerbsquote dar: 75,1 % im Westen zu 43,2 % im Osten[5]. Deutlich wird dies auch durch einen Blick auf die durchschnittliche Rente, die trotz eines insgesamt geringeren Rentenni­veaus in den neuen Bundesländern mit 846 € weitaus höher ist, als in den alten Bundesländern mit 580 €. Hinzu kommt, dass laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2016 zwar nunmehr bei nur 16 % der Frauen der überwiegende Teil des Lebensunterhalts von den Einkünften des Partners kam, es diesbezüglich jedoch deutliche Unterschiede zwischen Ost (6 %) und West (18 %) gibt.[6]

Diese Ergebnisse müssen jedoch nicht zwangsläufig auf die unterschiedliche Sozialisation in beiden Systemen zurückzuführen sein. Denkbar ist auch, dass es der durchschnittlich geringere Bruttostun­denverdienst in den neuen Bundesländern notwendig macht, dass beide Partner einer Vollzeiter­werbstätigkeit nachgehen, um sich finanziell abzusichern.[7]

Ja zu Kindern, nein zur Erwerbsarbeit?

Im bundesweiten Vergleich steigt zunächst die Erwerbsquote von Frauen mit einem Kind relativ zur Erwerbsquote von Frauen ohne Kind von 47 % auf 75 %. Mit jedem weiteren Kind sinkt sie jedoch kontinuierlich und immer stärker. Allerdings zeigt sich, dass das Arbeitsvolumen derjenigen Frauen, die auch mit Kindern erwerbstätig sind, negativ mit der Anzahl der Kinder korreliert. Von den Frau­en, die Vollzeit erwerbstätig sind, haben nur 19 % eines oder mehr Kinder. Unter Berücksichtigung der Herkunft zeigt sich, dass in den alten Bundesländern von den erwerbstätigen Frauen, die eines oder mehr Kinder haben, 22 % in Vollzeit und 78 % in Teilzeit arbeiten, wohingegen 57 % der er­werbstätigen Frauen in den neuen Bundesländern in Vollzeit, bzw. 43 % in Teilzeit arbeiten.

Auch hier zeigen sich, insbesondere im Rahmen des Arbeitszeitvolumens, markante Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. Nach HENDRICKX et. al.[8] ist es jedoch besonders von der Höhe des Partnereinkommens abhängig, ob eine Frau nach der Schwangerschaft wieder in ein (Vollzeit-) Arbeitsverhältnis eintritt.

Gleich und gleich gesellt sich gern

Das Einkommen des Partners zeigte in der Untersuchung einen grundsätzlich positiven Effekt. Mit steigendem Einkommen des Partners steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Frauen erwerbstä­tig sind. Dies kann mit dem zur Verfügung gestellten sozialen Kapital zusammenhängen[9]. Erstens haben Partner mit hohem Einkommen häufig einen höheren Bildungsabschluss und bewegen sich in sozialen Netzwerken mit entsprechenden Kontakten. Zweitens korreliert häufig der Bildungsabschluss des Partners mit dem Bildungsabschluss der Frau, woraus eine eher Karriere-orientierte Partnerschaft resultieren kann.

Allerdings zeigen die Ergebnisse auch, dass die Anzahl der Kinder einen negativen Einfluss auf die­sen Effekt hat. Er ist in den alten Bundesländern dabei etwas stärker. Mit steigendem Partnerein­kommen steigt die Wahrscheinlichkeit mit jedem Kind, dass sich Mütter in den alten Bundesländern eher der Reproduktionsarbeit widmen und einer (Vollzeit-) Erwerbstätigkeit entsagen.

Herkunft erklärt nicht alles

Die Ergebnisse zeigen, dass das traditionelle Rollenbild bei Frauen der Jahr­gänge 1967 bis 1987 in den alten Bundesländern nach wie vor zu finden ist, wohingegen sich in den neuen Bundesländern das Modell der beiderseitigen (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit innerhalb der Fami­lie gehalten hat. Dieser Effekt kommt besonders dann stärker zur Geltung, wenn das Einkommen des Partners als Einflussgröße hinzugezogen wird. Allerdings ist auf diesem Gebiet eine sukzessive bundesweite Annäherung an das familiäre Erwerbsmodell der neuen Bundesländer erkennbar. Die unterschiedliche Sozialisation während der Zeit des geteilten Deutschland wird dabei nur einer in einer ganzen Reihe von Gründen sein, die zu den obigen Ergebnissen führen. Es ist zudem zu er­warten, dass die Sozialisation in künftigen Generationen eine weniger gewichtige Rolle bei der Entscheidung spielen wird, ob Mütter sich für oder wider eine (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit entscheiden.

(1)  Vgl. Rosenbaum, A./Timm, E.: Private Netzwerke im Wohlfahrtsstaat. Familie, Verwandtschaft und soziale Sicherheit im Deutschland des 20. Jh. Konstanz 2008. S. 28.

(2)  Vgl. Peuckert, R.: Familienformen im sozialen Wandel. 7., vollst. überarb. Aufl. Wiesbaden 2008. S. 229.

(3)  Vgl. ebd. S. 232.

(4)  Sofern nicht anders angegeben, basieren die nachfolgenden Untersuchungsergebnisse auf den Daten des Sozioökonomischen Panels 2011.

(5)  Vgl. Gerlach, Irene: Familienpolitik. 2. akt. & überarb. Aufl. Wiesbaden 2010.

(6)  Vgl. Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 078. Frauen leben immer häufiger von eigener Erwerbstä­tigkeit. Vom 07.03.2018. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2018/03/PD18_078_122.html. Letzter Zugriff: 06.05.2018.

(7)  Siehe dazu Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Abrufbar unter:

https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/Qualitaet/Arbeit/Dimension1/1_5_GenderPayGap.html. Letzter Zugriff: 06.05.2018.

(8)  Vgl. Hendrickx, J. et. al.: Couples' labour-market participation in the Netherlands. In: Blossfeld H.-P. / Drobnic, S. (Hrsg.): Careers of Couples in Contemporary Societies. From male breadwinner to Dual Earner Families. Oxford, UK: Oxford University Press 2001. S. 77-97. Hier S. 95.

(9) Vgl. Verbakel, Ellen / de Graaf, Paul: Partner effects on labour-market participation and job level: opposing mechanisms, work, employment and society.