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Die Sprache der „Neuen Rechten“

von Simon Raulf

Begriffe wie „Heimatschutz“, „Leitkultur“ oder „Umvolkung“ wirken auf den ersten Blick neutral und harmlos. Dass sich ihre Sprecher damit aber einer rechtsextremen Denktradition bedienen und weitreichende Ziele verfolgen, zeigt Simon Raulfs Analyse.

Mit Aktionen wie der Besteigung des Brandenburger Tors 2016 oder der versuchten Stürmung des Justizministeriums im Mai 2017 konnte die neurechte „Identitäre Bewegung“ (IB) in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machen. Die Verwendung popkultureller Elemente sowie professionell bearbeitete Bilder und Videos dienen dazu, eine relativ junge Zielgruppe zu erreichen, wobei die Außenwirkung ihrer Aktionen wichtiger ist als ihr konkreter Zweck. Weg von intern geführten Diskussion begibt sich die „Neue Rechte“ immer mehr in die Öffentlichkeit, um den politischen Diskurs zu beeinflussen. Das ist Teil einer Strategie, die als „Gramcismus von rechts“ bezeichnet wird.

Konservative Revolution: Gramscismus von Rechts

Die Sprache als essentieller Teil der Kultur nimmt eine wichtige Stellung ein und dient explizit zur Verschiebung des politischen Diskurses. Der neurechte Vordenker Alain de Benoist1 benutzte dafür die theoretischen Grundlagen des Neomarxisten Antonio Gramsci, der die Kultur als stabilisierenden Faktor für bestehende Herrschaftsverhältnisse betrachtete - aber auch als Mittel, diese zu verändern. Das Verhältnis der Gesellschaft zum Staat beschreibt er als „Hegemonie, gepanzert mit Zwang“,2 die sich in der kulturellen Hegemonie der herrschenden Gesellschaftsform zeigt.

Die „Neue Rechte“ verwendet Gramscis Beobachtung des Zusammenspiels zwischen Gesellschaft, Kultur und Herrschaft für ihre eigenen Zwecke. Sie sehen sich als intellektuelle Avantgarde gegen eine liberale Hegemonie in Staat und Gesellschaft, welche sie in Form der „Political Correctness“, als Folge einer Kulturrevolution der 68er sehen. Die Studentenbewegung stellt das zentrale Feindbild der „Neuen Rechten“ dar. Damals war es über den außerparlamentarischen Raum gelungen, die öffentlichen Meinung, bestehende Werte, Normen und Institutionen zu verändern. Alain de Benoist bezieht sich in seinem Werk „Kulturrevolution von rechts“ auf die Studentenbewegung, indem er erkannte, dass die Politik nicht mehr nur in Institutionen, sondern vor allem über Kultur beeinflusst werden konnte.3

Das Vokabular, dass die sogenannte „Neue Rechte“ dabei verwendet, ist nicht neu. Die Thesen und Begriffe, die in deren Sprachrohren, wie der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ oder dem Magazin und Blog „Sezession“ verwendet werden, beziehen sich in ihrer Strategie und Ideologie auf die Autoren der „Konservativen Revolution“. Dieser Sammelbegriff, der auf Armin Mohler, den Privatsekretär Ernst Jüngers zurückgeführt wird, bezeichnet eine Gruppe von Schriftstellern aus dem antidemokratischen Milieu der Weimarer Republik, die sich gegen Individualismus, die liberale Demokratie und gegen die pluralistische Gesellschaft aussprach. Heutzutage wird diese Denktradition in einem Netzwerk aus Zeitungen, Verlagen4 und Instituten5 erhalten und strategisch der Gegenwart angepasst.

Die „Konservative Revolution“ konzentriert sich dabei auf die Kultur als entscheidenden Faktor im Ringen um die Vorherrschaft in der Gesellschaft. Dies spiegelt sich vor allem in der Sprache wider. Dabei distanziert sich die „Neue Rechte“ bewusst vom Nationalsozialismus und seinem Vokabular, da sie laut Wolfgang Gessenharter als ein „ideologisches, personelles und organisatorisches Scharnier zwischen dem Konservativismus und manifestem Rechtsextremismus“ fungiert.6

Begriffsumdeutung: Kultur, Volk und Nation

Ihre Strategie bezeichnet die „Identitäre Bewegung“ als Metapolitik, die sich nicht auf die Politik richtet, sondern die Kultur im Blick hat. Dabei stellt das Besetzen von Begriffen ein zentrales Mittel zur Veränderung bestehender Machtverhältnisse dar. So heißt es auf der Webseite der „IB“: „Wir glauben, dass politische Veränderung nicht nur in den Parlamenten und der Parteipolitik möglich ist, sondern sich ebenso im Kulturbetrieb, den öffentlichen Debatten, den Medien und auf der Straße abspielt.“7

Es lassen sich zwei Strategien beobachten, wie die öffentliche Meinung von rechts beeinflusst wird. Zum einen verwendet die Neue Rechte im Sinne der Konservativen Revolution „Schlagwörter als notwendige politische Mittel zur Vereinfachung einer Ideologie“.8 Zum anderen werden Begriffe gezielt umgedeutet und der eigenen Ideologie gemäß verwendet.

Besonders offensichtlich wird die Strategie der Umdeutung bei den Begriffen „Kultur“, „Volk“ und „Nation“. „Kultur“ dient der „Neuen Rechten“ als zentraler Begriff in der Argumentation für den Ausschluss des Fremden vom konstruierten homogenen Eigenen. Historisch behaftete Begriffe wie „Rasse“ werden durch „nationale Identität“ und „Kultur“ ersetzt, „Ungleichheit“ durch „kulturelle Differenz“.9 Der „Rassismus ohne Rassen“, wie der kulturelle Rassismus auch bezeichnet wird, konstruiert Kultur als unvereinbare Differenzen. Bestimmten Gruppen werden pauschalisierende und an Herkunft gebundene Merkmale zugeschrieben, die als abgeschlossene, unveränderbare Essenz angesehen werden und den anderen Kulturen unvereinbar gegenüber stehen. So ergibt sich die Konstruktion der eigenen Identität entlang einer Kollektivierung und einer klaren Definition des Fremden. Nur, dass nun nicht mehr die biologische, sondern die kulturelle Abstammung ausschlaggebend ist.

Die Vorstellung einer Abstammungsgemeinschaft offenbart sich in der Verwendung des Begriffs „Volk“ bei der „IB“. Das „Volk“ wird nicht im republikanischen Sinne über Staatsangehörigkeit definiert, sondern als biologisch oder zumindest kulturell gewachsene Gemeinschaft. Migration und offene Grenzen werden als Angriff auf diese homogen konstruierte Gemeinschaft dargestellt, die letztendlich dazu führen solle, dass „unsere Völker durch sinkende Geburtenraten bei gleichzeitigem Wachstum islamischer Parallelgesellschaften und Masseneinwanderung zur Minderheit in den eigenen Ländern wird und in wenigen Jahrzehnten völlig verschwunden sein könnte“.10

Volk und Kultur stellen für die „Neue Rechte“ eine Einheit dar, die im Nationalstaat unter Herrschaft gestellt wird. Zwar unterscheidet Martin Sellner in einem seiner Vlogs mit dem Titel „Ethnokulturelle Identität“ zwischen Ethnie und Kultur, um nicht in biologistischen Rassismus zu verfallen, doch stellt er sie dabei laut Bruns/Glösel/Strobl in ein „quasi metaphysisches Verwandtschaftsverhältnis“.11 Dabei erklärt er, dass „ethnokulturelle Identität“ eine „kulturelle“ und „biologische“ Seite hätten. Volk, Kultur und Nation stellen eine untrennbare Einheit dar, die es zu verteidigen gilt. Der Ethnopluralismus mit ethnisch bzw. kulturell abgetrennten Nationalstaaten ist die dabei angestrebte Weltordnung.12

Rechte Diskursverschiebung?

Die Verwendung der Sprache in der „Neuen Rechten“ gibt Aufschlüsse, um deren Auftreten und Strategie verstehen zu können. Zwar ist es der „Neuen Rechten“ bisher nicht gelungen, den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer homogenen Bevölkerung herbeizuführen. Jedoch haben neurechte Thesen und Sprache bereits Anknüpfungspunkte in gesellschaftlichen Debatten gefunden. So wird die Frage nach Identität und Herkunft in der Diskussion um eine „Leitkultur“ sowie die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft auch von großen Teilen der politischen Mitte mitgetragen. Die Befürchtung eines bewusst von der Regierung gesteuerten Austausches und Verschwindens des „deutschen“ Volkes zeigt sich auch außerhalb des neurechten Spektrums, wenn die ehemalige Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla (CDU) die Migrationspolitik als „Umvolkung“ bezeichnet oder Thilo Sarazzin (SPD) in seinen Büchern die These vertritt, dass die deutsche Bevölkerung aufgrund der höheren Geburtenrate von Migrant_innen in den kommenden Jahrzehnten eine Minderheit darstellen werde. Biologistischer Rassismus zeigt sich im Täterprofil „Nafri“ für Nordafrikaner und „racial profiling“, der polizeilichen Kontrolle aufgrund rassistischer Merkmale.

1 Alain de Benoist 1985: Kulturrevolution von Rechts; Benoist gründete das seit 1968 existierende "Groupement de Recherche et d'Études pour la Civilisation Européenne (GRECE)", welches als Begründer und ideologischer Wegbereiter der "Nouvelle Droite" gilt

2 Gramsci, Antonio 1994: Gefängnishefte, 6. Band., hgg. v. Bochmann, W.F. Haug u.a, Hamburg: Argument. 
Gramsci schrieb die unter dem Titel „Gefängnishefte“ veröffentlichten Fragmente, während seiner Haft im faschistischen Italien von 1928 bis zu seinem Tod 1937.

3 Leggewie, Claus 1987: Kulturelle Hegemonie – Gramsci und die Folgen S. 295f.

4 Zu nennen ist hier der von Götz Kubitschek gegründete Verlag Antaios.

5 So z.B. das im Mai 2000 gegründete "Institut für Staatspolitik" oder der 2015 von Karl-Albrecht Schachtschneider, Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek gegründete Verein "Ein-Prozent-für-unser-Land".

6 Gessenharter, Wolfgang 2004: Im Spannungsfeld. Intellektuelle Neue Rechte. Und demokratische Verfassung. In Gessenharter, Wolfgang/Pfeiffer, Thomas 2004: Die Neue Rechte - eine Gefahr für die Demokratie? Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 33

7 Webseite IB: Metapolitik. Url: https://www.identitaere-bewegung.de/metapolitik/

8 Liedtke, Frank et al. 1991: Begriffe besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 145

9 Koller 2009: Rassismus. Paderborn: Schöningh. S. 96

10 Webseite IB: Großer Austausch. Url: https://www.identitaere-bewegung.de/kampagnen/grosser-austausch/ Der Begriff „Großer Austausch“ dient dazu, den Anschein zu erwecken, dass Migration keine Folge humanitärer oder wirtschaftlicher Krisen sei, sondern eine bewusst gesteuerte und umgesetzte Bevölkerungstransfer zum Austausch einer konstruierten homogenen Bevölkerung.

11 Bruns, Julian/Glösel, Kathrin/Strobl, Natascha 2016: Die Identitären. Der modernisierte Rassismus einer Jugendbewegung der Neuen Rechten. In: Kellershohn, Helmut; Kastrup, Wolfgang (Hg.) 2016: Kulturkampf von rechts. AfD, Pegida und die Neue Rechte. Unrast e.V.; "Rechte Wutbürger im Kulturkampf". 1. Auflage. Münster: Unrast (Edition DISS, Bd. 38).

12 Sellner Martin 2014: Vlog 27 – Die ethnokulturelle Identität. Ab 09:15 und ab 31:55