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Stendal im Mittelalter: Eine Hanseatische Handelsstadt

Sucht man auf einer Landkarte die Altmark, genügt es, die große Autobahn-freie Fläche zu finden. Die im Norden Sachsen-Anhalts gelegene Region mit der Stadt Stendal fällt durch eine eher schlechte strukturelle Vernetzung mit dem Rest Deutschlands auf. Dabei war die Kreisstadt im 14. Jahrhundert Sitz bedeutender Händler und ein Knotenpunkt des Handels zwischen Nord- und Süddeutschland. Auf der Suche nach den Gründen dieses wirtschaftlichen Erfolgs zeigt sich die immense Bedeutung von Netzwerken.

Von Johannes Steinke

Die Stadt Stendal, die heute zu Sachsen-Anhalt gehört, wurde 1157 vom askanischen Herrscher Albrecht dem Bären begründet. Als Gründungsjahr der Stadt Stendal gilt 1160: In diesem Jahr wurde dem Ort das Marktgründungsrecht verliehen. Einen ersten Aufschwung dürfte die darauf folgende Eröffnung der Münzprägeanstalt ermöglicht haben. Mit ihr kam eine stadteigene Währung, das Stendalische Silber, in Umlauf, welches erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung besaß.[1] Begünstigt wurde der Handel der Stadt durch eine handelsfreundliche Rechtssetzung: Das sogenannte „Magdeburger Recht“, geschaffen vom Erzbischof Wichmann, garantierte den Stendaler Bürgern freien Handel und uneingeschränktes Gewerbetreiben.[2] Händler profitierten von günstigen Grundsteuern und waren von vielen Zöllen befreit.[3] Im Stendaler Stadtrat vertreten waren vor allem Händler, Handwerker und bedeutende Bürger, die für wirtschaftlichen Aufschwung sorgten.[4]

Mit dieser günstigen Ausgangsbasis mauserte sich die Stadt mit den Jahren zu einem Zentrum des Tuch- und Gewandhandels: Stendals Gewandschneidergilde war im Mittelalter weit berühmt. Der Tuchhandel – und damit der wirtschaftliche Aufstieg der Stadt – wurde durch die Nähe Stendals zur Elbe angekurbelt. Diese Fernwasserstraße bildete im 14. Jahrhundert eine der wichtigsten Verkehrsadern des Landes; war doch der Transport per Schiff nicht nur komfortabler und schneller als der Landweg, sondern auch sicherer. Räuber und Wegelagerer machten die Landstraßen des Mittelalters  unsicher.

Indem die Stendaler Händler in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine eigene Seefahrergilde gründeten, erweiterten sie den Radius ihres Handelskreises enorm, und steigerten gleichzeitig ihre Attraktivität für potentielle Geschäftspartner. Diese Entscheidung trug 1358 Früchte, als die Stadt in das mächtige Handelsnetzwerk der Hanse aufgenommen wurde.

Die Hanse: Ein wertvolles Netzwerk

Ähnlich der Mitgliedschaft in einem exklusiven Klub, kam die Aufnahme in die Hanse für eine mittelalterliche Stadt einem Ritterschlag gleich. Die Hanse war vom 13. bis ins 17. Jahrhundert die erfolgreichste Handelsvereinigung des Mittelalters. Ursprünglich von Lübecker Kaufmannsfamilien gegründet, die auf etablierte Handelswege nach Russland, Skandinavien und England zurückgreifen konnten, handelten die Kaufleute der Hanse mit verschiedenen Gütern und vertrieben diese im gesamten nordeuropäischen Raum.[1] Ihre Mittel zur Vorteilssicherung gegenüber der Konkurrenz bestanden aus Monopolen, Abgabenbefreiungen, festen Markt- und Umschlageplätzen für hochwertige Waren sowie Rechtssicherung im Ausland. Durch diese Privilegien schuf die Hanse in ihrem gesamten Einzugsbereich einheitliche Arbeitstechniken und standardisierte Vorgehensweisen des Handelns.[2]

Das wichtigste Gut der Hanse waren die Beziehungsgeflechte zwischen ihren Mitgliedern. Ihre Vernetzung fand auf der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Ebene statt. Zum Beispiel bauten die hansischen Kaufleute Warendistributionsketten mit ihren näheren Verwandten in anderen Hansestädten und Kontoren auf, um eine optimale Kontrolle der Warenströme gewährleisten zu können. Allein für die Kontrolle der bestehenden oder zukünftigen Bündnispartner existierten sogenannten Fahrtrichtungsgenossenschaften. Auf späteren Zusammenkünften dieser Genossenschaften kam es dann zum Austausch über das soziale und geschäftliche Verhalten der Partner. Folglich war es für hansische Kaufleute elementar, dass sie einen guten Ruf bewahrten. In einer Zeit, in der man nicht einfach binnen Sekunden den Gegenüber hören, geschweige denn sehen konnte, waren Vernetzung und Vertrauen unabdingbare Voraussetzungen für erfolgreichen Handel.[3] Ein Geschäft konnte nur dann Erfolg haben, wenn zahlreiche Teilnehmer am Markt sich kannten und regen Austausch betrieben.[4]

Stendal und Hamburg

Durch den Eintritt zur Hanse gelangten Stendal und die anderen Städte des altmärkischen Hansebundes[1]  zeitweise zu großer wirtschaftlicher Bedeutung.[2] Dies bezeugt der Zollstreit zwischen Hamburg und Gent aus dem Jahre 1466: Zur Vermittlung dieses Streits, der durch die hohen Steuern ausgelöst worden war, den die Flandern auf Hamburgisches Bier erhoben, wurde die Hansestadt Stendal und seine Kaufleute hinzugezogen. Stendal pflegte nämlich im Zuge des Tuchhandels regen Handelsverkehr mit der Stadt Gent,[3] und bewegte die Flandern schriftlich zum Einlenken.

In der heutigen Zeit verspricht sich die Stadt wirtschaftlichen Aufschwung von der geplanten Autobahn A14, die zukünftig quer durch die Altmark verlaufen soll. Der Blick auf die Stadtgeschichte indessen hat gezeigt, dass für gesellschaftlichen Aufschwung vor allem Geschäftskontakte und gegenseitiges Vertrauen wichtig sind.

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(1) Schwinekörper, Berent (Hrsg.): Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Bd.11: Provinz Sachsen-Anhalt. 2. überarbeitete und ergänzte Auflage, Stuttgart 1987 (Kröners Taschenbuchausgabe 314), S.451.

(2) Springer, Matthias: Landesausbau, Stadtrecht, Magdeburger Recht, der Sachsenspiegel. In: Biegel, Gerd (Hrsg.): Sachsen-Anhalt. 1200 Jahre Geschichte – Renaissance eines Kulturraums. Braunschweig 1993 (Veröffentlichungen des Braunschweigischen Landesmuseums 69), S.63.

(3) Engel, Maria: Die Stadtgemeinde im brandenburgischen Gebiet. In: Blickle, Peter (Hrsg.): Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. München 1991, S.334.

(4) Enders, Liselott: Die Altmark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft in der Frühneuzeit (Ende des 15. bis Anfang des 19. Jahrhunderts). Berlin 2008 (Veröffentlichungen des brandenburgischen Landeshauptarchivs 56), S.28.

(5) Vgl. Plessow, Oliver: Die Stadt im Mittelalter. Stuttgart 2013 (Reclams Universal-Bibliothek 17075), S. 71.

(6) Vgl. Plessow, Stadt, S.71.

(7) Burkhardt, Mike: Kaufmannsnetzwerke und Handelskultur. Zur Verbindung von interpersonellen Beziehungsgeflechten und kaufmännischem Habitus im spätmittelalterlichen Ostseeraum. In: Kleingärtner, Sundhild; Zeilinger, Gabriel (Hrsg.): Raumbildung durch Netzwerke? Der Ostseeraum zwischen Wikingerzeit und Spätmittelalter aus Archäologischer und Geschichtswissenschaftlicher Perspektive. Beiträge des am 28. Und 29. Oktober 2010 in Kiel veranstalteten Workshops. In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, Jg. 40(2012).

(8) Vgl. Burkhardt, Mike: Kaufmannsnetzwerke und Handelskultur. Zur Verbindung von interpersonellen Beziehungsgeflechten und kaufmännischem Habitus im spätmittelalterlichen Ostseeraum. In: Kleingärtner, Sundhild; Zeilinger, Gabriel (Hrsg.): Raumbildung durch Netzwerke? Der Ostseeraum zwischen Wikingerzeit und Spätmittelalter aus Archäologischer und Geschichtswissenschaftlicher Perspektive. Beiträge des am 28. Und 29. Oktober 2010 in Kiel veranstalteten Workshops. In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, Jg. 40(2012), S.119.

(9) Gemeinsam mit Stendal schlossen sich im Lauf der Jahre die altmärkischen Städte Osterburg, Seehausen, Werben, Gardelegen, Tangermünde und Havelberg zum altmärkischen Hansebund zusammen.

(10) Ein Beispiel für den Privilegiengewinn der Stendaler Händler stellte der Rabatt dar, den sie als Hansemitglieder für die Nutzung der Elbfähren erhielten. Vgl. dazu Wollesen, Ernst: Stendal und die Hanse. In: Wollesen, Ernst (Hrsg.): Stendal und die Hanse. Festgabe der Stadt Stendal zur Tagung des Hansischen Geschichtsvereins am 21. und 22 Mai 1929. Stendal 1929, S.26 ff.

(11) Wollesen, Ernst: Stendal und die Hanse. In: Wollesen, Ernst (Hrsg.): Stendal und die Hanse. Festgabe der Stadt Stendal zur Tagung des Hansischen Geschichtsvereins am 21. und 22 Mai 1929. Stendal 1929, S.58.